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»Brennende Erde«: Zerstörung und Hoffnung

Sunil Amrith erzählt die letzten 500 Jahre Menschheitshistorie als Geschichte von Raubbau, Kolonialismus und Umweltzerstörung – ungeschönt und anspruchsvoll.

»Brennende Erde« ist eine beeindruckende, aber auch fordernde Reise durch die letzten 500 Jahre Menschheits- und Fortschrittsgeschichte. Autor Sunil Amrith ist Professor für Geschichte an der Yale University mit Schwerpunkt auf der Migrationsgeschichte Asiens. Er zeigt, wie eng Klimaveränderungen, politische Macht und soziale Ungleichheit weltweit miteinander verwoben waren und es bis heute sind.

Der Autor konzentriert sich dabei auf Regionen außerhalb des industrialisierten Nordens. Oft stellen sie in der globalen Umweltgeschichte in ihrer bisherigen Form nur eine Randnotiz dar – obwohl sie besonders unter der Ausbeutung der Natur zu leiden hatten. Deutlich arbeitet Amrith heraus, dass der europäische Kolonialismus und die Moderne insgesamt nicht nur Gesellschaften, sondern auch ganze Ökosysteme und Landschaften umgestalteten und dabei oft nicht zum Guten veränderten. Groß angelegte Wasserprojekte, rücksichtslose Landnutzung und wirtschaftliche Ausbeutung wirken vielerorts bis heute nach – und erhöhen auch die Verletzlichkeit dieser Regionen gegenüber dem Klimawandel. So macht das Buch nicht nur die Geschichte »des Südens« sichtbar, sondern schärft auch unsere Wahrnehmung für den Preis des Fortschritts. Es geht Amrith um mehr als Umweltgeschichte – es geht ihm um globale Gerechtigkeit.

»How dare you?« – die berühmten Worte Greta Thunbergs kommen einem bereits bei der Lektüre der ersten Seiten von Amriths Werk in den Sinn. Schonungslos benennt er die tiefen, zum Teil noch immer klaffenden Wunden, welche die letzten 500 Jahre des sogenannten Fortschritts in unseren Planeten und seine Gesellschaften geschlagen haben. Das Buch ist keine leichte Lektüre: Die dicht aufgezählten Fakten, die vielen historischen Namen, Daten und Ereignisse fordern eine gewisse Konzentration. Doch genau dieses Innehalten ist es, das Amrith vermutlich erzeugen möchte – er will seine Leser nicht nur informieren, sondern sie zum Nachdenken geradezu zwingen.

Das Buch ist in drei große Abschnitte gegliedert: Der erste widmet sich den Epochen der Entdeckungsreisen, der Etablierung kolonialer Systeme und dem Imperialismus. Der zweite Abschnitt beleuchtet die Umwälzungen durch die Industrialisierung und die ökologischen wie sozialen Folgen der beiden Weltkriege. Der dritte Teil schließlich befasst sich mit der globalen Ordnung des Kalten Krieges, der Phase der Dekolonisierung und der Ära der Globalisierung – inklusive der jüngeren globalen Initiativen mit ihren Gipfeln in Rio, Kyoto und Paris.

Statt einer streng chronologischen Ordnung folgt das Buch einem thematischen Ansatz und nimmt dabei immer auch die Menschen konkret in den Blick. Er zeigt sie als Opfer des Kolonialismus, der Industrialisierung und der Globalisierung: Hungernde, Sklaven, Arbeiter, Soldaten, Aktivisten. Wirtschaftliche Interessen, militärische Expansionen und ein ausbeuterisches Verhältnis zur Natur haben sich, so der Autor, tief in die globalen Gesellschaften eingebrannt und prägen sie bis heute.

Detailliert beschreibt Amrith, wie der Mensch mit Bulldozer und Dynamit rücksichtslos die Landschaft transformierte, Ressourcen ausbeutete und Flora wie Fauna dezimierte; wobei der Autor auch belegt, wie Umweltzerstörung und soziale Ungleichheit historisch miteinander verknüpft sind. Die unterschiedlichen kolonialen Systeme erscheinen nach seiner Analyse nicht nur als politisch-soziale Machtstrukturen, sondern auch als ökologische Brandbeschleuniger und Mitursache heutiger Umweltkatastrophen.

Besonders beeindruckend ist Amriths Stil: mal bildhaft an der Grenze zum Poetischen, mal nüchtern und datengetrieben. Gerne zitiert er Gedichte oder Lieder der jeweiligen Regionen, um den Reflexionen der Zeitgenossen eine authentische Stimme zu geben – seien es Rudyard Kipling oder traditionelle indigene Gesänge. In starkem Kontrast dazu stehen die trockenen Darstellungen ökonomischer oder ökologischer Kennzahlen. Dieser Stil der Gegensätze verstärkt die emotionale Spannung und macht die Lektüre in ihrer Wirkung nicht nur intellektuell, sondern auch emotional fordernd.

Zerstörung und Hoffnung

Zu den Stärken des Buchs gehört auch die besondere Art der Verbindung von Struktur, Stil und Inhalt. Historische Ereignisse werden mit vielen individuellen Schicksalen bekannter und unbekannter Akteure verknüpft. Fakten und Gefühle stehen gleichberechtigt nebeneinander. So lässt einen die Lektüre Klima- und Menschheitsgeschichte als Einheit wahrnehmen, zeigt sie voller Gewalt, Widerstand und Zerstörung, gibt aber auch der Hoffnung Raum.

Denn Amrith ergibt sich nicht dem Fatalismus. Er betont immer wieder die Anpassungsfähigkeit der Menschen, ihre Kreativität und Widerstandskraft. Selbst in den dunkelsten Kapiteln – etwa beim Blick auf die Hungersnöte des 19. Jahrhunderts oder die ökologischen Folgen des Vietnamkriegs und der Atombomben – streut er Geschichten von Überleben, Solidarität und Neubeginn ein. Dieser Optimismus in »Brennende Erde« ist zart und ehrlich, Amriths Menschheitsgeschichte läuft weder auf eine Apokalypse noch auf eine Utopie hinaus.

Durch Tiefe und Breite des Dargestellten ist Amriths Werk eine beeindruckende Synthese. Es bringt historische Ökologie, Kolonialismusforschung und Globalgeschichte zusammen und zeigt, wie diese Felder miteinander verwoben sind. Damit liefert er nicht nur neue Erkenntnisse, sondern auch ein Plädoyer für eine interdisziplinäre, globale Perspektive auf den Klimawandel und seine historische Dimension.

So ist »Brennende Erde« eine tiefgründige Erweiterung der Klimageschichte, die sich auf vielerlei Ebenen gegen den schnellen Konsum richtet. Es spricht Leser an, die bereit sind, sich auf eine tiefgehende, komplexe Analyse einzulassen. Wer einfache Antworten sucht oder eine simple Einführung in die Klimageschichte erwartet, wird in diesem Buch nicht fündig. Wer jedoch bereit ist, sich auf neue Blickwinkel einzulassen, wird mit einem außergewöhnlichen und auf produktive Weise fordernden Werk belohnt, das einen neuen Blick auf unsere gegenwärtige Situation ermöglicht.

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