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Wissenschaftsfreiheit: Der Kulturkampf um die Wissenshoheit

Die US-Regierung erhöht den Druck auf missliebige Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen. Vor allem Harvard und Wikipedia stehen im Zentrum neuer Attacken. Doch auch junge Deutsche mit Studienziel USA trifft es.
Ein steinernes Gebäude mit einem Giebel, der ein kunstvoll geschnitztes Wappen zeigt. Auf dem Wappen steht das lateinische Wort "VERITAS" für "Wahrheit". Um das Wappen herum sind dekorative Blumen- und Blattmotive zu sehen. Der Stein ist verwittert und mit feinen Rissen durchzogen. Der Himmel im Hintergrund ist bewölkt.
Wie steht es um die Wahrheit in Amerika? Auch in Harvard will die Politik darüber mitbestimmen, was als wahr und falsch zu gelten hat.

Wissenschaft und Hochschulen in den USA versuchen, sich gegen die Angriffe der Regierung von US-Präsident Trump zu wehren – vor Gericht, auf der Straße und auf Youtube. Zumindest vorläufig schaffte es die Harvard University in der vergangenen Woche, durch eine Eilklage abzuwenden, dass ihre ausländischen Studierenden ihren Aufenthalt umgehend beenden müssen und keine neuen Studierenden aus dem Ausland mehr aufgenommen werden dürfen. Nach der Intervention eines Bundesrichters bekam die Universität 30 Tage Zeit, ihren Widerspruch gegen das Verbot zu begründen. Auf dem Harvard-Campus in Cambridge und Boston hatten zuvor US-amerikanische Studierende für ihre Kommilitonen aus dem Ausland demonstriert.

Jetzt legte Trump nach und verbot in einem Dekret die Einreise neuer ausländischer Harvard-Studierender für einen Zeitraum von sechs Monaten. Eine Einreise dieser Personengruppe würde »den Interessen der Vereinigten Staaten schaden, weil das Verhalten von Harvard es meines Erachtens zu einem ungeeigneten Ziel für ausländische Studenten und Forscher gemacht hat«, schrieb Trump und berief sich auf die »nationale Sicherheit«. Er ermächtigte Außenminister Marco Rubio zudem, auch jungen Menschen aus dem Ausland, die bereits an der Harvard University studieren, das Visum zu entziehen, was sie zur Ausreise zwingen würde. Ein Sprecher der Universität bezeichnete das Dekret als eine »weitere illegale Vergeltungsmaßnahme der Regierung.« Auf eine umgehende Klage von Harvard hin wurde seine Umsetzung inzwischen vorerst durch eine Richterin blockiert.

Bereits von Donnerstag bis Sonntag lief auf der Videoplattform Youtube ein 100-stündiger Livestream, in dem rund 200 Klimaforscherinnen und -forscher aus allen Teilen der USA rund um die Uhr davon berichteten, warum ihre Arbeit für die Gesellschaft wichtig ist. Der Livestream hatte damit begonnen, dass Wissenschaftler des Goddard Institute for Space Studies (GISS) der Weltraumagentur NASA von Regierungsvertretern aus ihrem Gebäude in New York geworfen wurden und sich einen neuen Übertragungsort suchen mussten. Einhellig appellierten die Macher der Direktübertragung über fünf Tage hinweg an die Regierung in Washington, die dramatischen Budgetkürzungen und Entlassungen der vergangenen Wochen zurückzunehmen.

Harvard im Fokus

Doch die Trump-Administration bleibt hart. Vor allem an Harvard als einer der angesehensten Universitäten weltweit will sie offenbar ein Exempel statuieren. Alle Wissenschaftseinrichtungen des Landes sollen sehen, was passiert, wenn man sich den Forderungen der Regierung nicht fügt.

Nach der Gründung der nach dem puritanischen Theologen John Harvard (1607–1638) benannten Hochschule im Jahr 1636 dauerte es noch 153 Jahre, bis mit George Washington der erste Präsident der Vereinigten Staaten sein Amt antrat. Der Aufstieg an die weltweite Spitze der akademischen Welt folgte: Keine andere Universität hat mehr Nobelpreisträger oder mehr spätere US-Präsidenten hervorgebracht. Doch nun scheint Donald Trump als der 45. Mann, der die USA regiert, wild entschlossen, die Institution in die Schranken zu weisen.

Harvard gilt dem Trump-Lager als Inbegriff der verhassten links-liberalen »Wokeness«, also der besonderen Rücksichtnahme auf soziale Vielfalt, Gleichberechtigung und die Inklusion Schwächerer. Bereits im »Project 2025«, einem politischen Plan der national-konservativen Denkfabrik »Heritage Foundation« für die zweite Amtszeit von Trump, war die Wissenschaft als einer der Hauptgegner der Make-America-Great-Again-Bewegung beschrieben worden – nun setzt das Weiße Haus die Pläne um, Hochschulen und Forschungsinstitute unter seine Kontrolle zu bringen.

Am 27.  Mai wies Trump die ihm unterstehenden Ministerien und Behörden an, restlos alle Förderverträge mit der Harvard University zu beenden. Zuvor hatte er bereits rund 2,9 Milliarden Dollar an Regierungsmitteln für Harvard auf Eis legen lassen. Bildungsministerin Linda McMahon teilte der Universität in einer langen Liste von Vorwürfen mit , eine Bewerbung um neue Regierungsmittel sei sinnlos, »da keine weiteren Gelder zur Verfügung gestellt werden«.

Mindestens so schwer wie die Kürzungen wiegt die Androhung, der als Stiftung organisierten Universität die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Dies würde erhebliche finanzielle Einbußen mit sich bringen, unter anderem weil die Hochschule mehr Steuern zahlen müsste und Spender ihre Zuwendungen nicht mehr steuerlich geltend machen könnten.

Das Verbot, ausländische Studierende zu unterrichten, zielt auf eine der wichtigsten Einnahmequellen, denn die Studiengebühren für diese Gruppe sind deutlich höher als für US-Amerikaner. Unter den 6800 Studierenden aus dem Ausland, die derzeit an der Harvard University eingeschrieben sind, befinden sich rund 550 Deutsche. Ihnen haben der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und das Auswärtige Amt ihre Unterstützung zugesagt – auch dabei, notfalls an eine andere US-Hochschule zu wechseln.

In dem Schreiben, mit dem die Trump-Regierung die neuesten Maßnahmen begründet, wirft sie der Harvard University »Rassendiskriminierung« vor – weil diese sich in den vergangenen Jahren verstärkt um die Aufnahme nichtweißer Studierender bemüht hat. Trumps Regierung bringt nun die Anschuldigung vor, es gebe eine Diskriminierung von Weißen. Dass in den zurückliegenden Jahren unter den zehn Prozent der neu aufgenommen Studierenden mit den besten akademischen Leistungen nur 15 Prozent Weiße, aber 56 Prozent Afroamerikaner gewesen seien, soll als Beweis für eine Benachteiligung Weißer gelten. Als Indiz dafür, dass die Aufnahme in Wirklichkeit gar nicht nach Leistung erfolge, wird angeführt, es habe in den vergangenen Jahren in Harvard Einführungskurse in Mathematik auf sehr niedrigem Niveau gegeben. Die Universität weist diese Darstellung zurück.

Streit um Israelkritik und Antisemitismus

Zudem werden in den Schreiben der Regierung an Harvard israelkritische Proteste kritisiert, die jüdische Studierende bedroht und von Lehre und Forschung abgehalten hätten. Die Universitätsverwaltung habe einen »verstörenden Mangel an Sorge um die Sicherheit und das Wohlbefinden jüdischer Studierender« an den Tag gelegt.

Die Universität entgegnet, man sei bereit, im Kampf gegen Antisemitismus und für Chancengleichheit mit der Regierung zusammenzuarbeiten. In Wahrheit gehe es dieser aber darum, Harvard die Selbstständigkeit zu entziehen und sie durch »Mikromanagement« einer engmaschigen Kontrolle zu unterwerfen. Wer sich nicht füge, dem würden die Mittel für »medizinische Durchbrüche, wissenschaftliche Entdeckungen und innovative Lösungen« genommen. Universitätspräsident Alan Garber wirft Trump vor, die von der Verfassung garantierten Rechte der Hochschule zu ignorieren und an Harvard ein Exempel statuieren zu wollen. Was Harvard heute widerfahre, so Garbers Warnung, drohe auch anderen Universitäten.

Die Columbia University und die University of Pennsylvania sind bereits ins Fadenkreuz der US-Regierung geraten. Letzterer wurden 175 Millionen Dollar gestrichen, weil eine transsexuelle Sportlerin für das Damen-Schwimmteam der Uni in einem Wettbewerb antreten durfte.

Ein neuer Erlass, wonach ausländische Studierende bei Visaverfahren besonders streng geprüft werden sollen, trifft nun alle Hochschulen des Landes. Die Ankündigung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem sich viele Bewerberinnen und Bewerber auf einen Studienbeginn in den USA im Herbst vorbereiten. Diese Planungen könnten nun über den Haufen geworfen werden, wenn Visa nicht rechtzeitig erteilt werden.

Alan Garber | Der Präsident der Harvard University wirft der US-Regierung vor, seine Hochschule gezielt ins Visier zu nehmen – als warnendes Beispiel für andere Hochschulen. Das Foto zeigt den Ökonomen und Mediziner am 29. Mai 2025 während einer Abschlussfeier auf dem Campus.

Wer sich aus dem Ausland für den Zeitraum ab Herbst für ein Studium oder einen Job als Wissenschaftler an der Harvard University oder einer anderen US-Hochschule beworben hat, muss Berichten von Politico und CNN zufolge damit rechnen, auf Grund früherer Social-Media-Posts kein Visum zu erhalten. US-Außenminister Marco Rubio wies die Konsulate demnach an, die Nutzerkonten von Bewerbern genauestens auf mögliche Anzeichen von Antisemitismus oder anderen Meinungsäußerungen, die nach Lesart der Trump-Regierung extremistisch sind, zu untersuchen. Schon Kritik am Vorgehen Israels im Gaza-Streifen kann so gewertet werden. Verdächtig macht sich Rubios Erlass zufolge auch, wer über gar kein Social-Media-Konto verfügt oder dieses auf »privat« gestellt, also den öffentlichen Zugang unterbunden hat.

1,1 Millionen Studierende aus dem Ausland

Nach Angaben des in New York ansässigen Institute of International Education (IEE) lernten zuletzt rund 1,1 Millionen ausländische Studierende an Colleges und Universitäten in den USA, was rund sechs Prozent aller 18 Millionen Studierenden im Land entspricht und einen neuen Rekord darstellte. Indien mit 332 000 Studierenden und China mit 278 000 Studierenden sind die wichtigsten Herkunftsländer. Die Association of International Educators (NAFSA), eine US-Organisation mit Sitz in Washington, rechnet vor, dass ausländische Studierende jährlich rund 44 Milliarden Dollar in die USA brächten und rund 378 000 Arbeitsplätze von den internationalen Gästen abhingen.

NAFSA-Chefin Fanta Aw verurteilte die Pause bei der Visavergabe als »weitere fehlgeleitete und zutiefst beunruhigende Attacke auf internationale Studierende«. Diese würden vor ihrer Einreise bereits bisher intensiven Hintergrundprüfungen unterzogen. Die Maßnahmen der Regierung »schaden unserem Ruf als gastfreundliches Ziel globaler Talente« und würden genau jene zugewanderten Menschen befremden, die bisher den Erfolg der USA vorangetrieben hätten, erklärte Aw. Längst haben Hochschulen in vielen anderen Teilen der Welt, darunter auch in China, begonnen, um die jungen Menschen zu werben, die sich nun oft gegen die USA als Zielland ihrer akademischen Ausbildung entscheiden. Auch die EU will bis 2027 insgesamt 500 Millionen Euro bereitstellen, um wissenschaftliche Talente aus aller Welt anzulocken.

Die Drohung, die finanziell attraktive Gemeinnützigkeit zu entziehen, trifft neben Hochschulen auch Menschenrechts- und Umweltgruppen sowie das kooperative Online-Lexikon Wikipedia. Dieses hat sich nach dem Wegfall von Twitter zusammen mit Bluesky und Mastodon immer stärker zu einer gefragten Plattform für Wissenschaftskommunikation entwickelt. Auch Forscherinnen und Forscher nutzen die Möglichkeiten der Mitwirkung auf Wikipedia, um Beiträge über ihre Arbeitsschwerpunkte zu erstellen, bestehende Beiträge zu korrigieren und Desinformation etwa zum Klimawandel entgegenzuwirken.

Präsidentenberater Elon Musk hat Wikipedia wegen dieser Rolle schon in der Vergangenheit häufig als »links-radikale Organisation« kritisiert, nun legte Mitte Mai der amtierende US-Staatsanwalt für den District of Columbia nach. Er beschuldigte die Wikimedia Foundation, die Wikipedia betreibt, »ausländischen Akteure zu erlauben, Informationen zu manipulieren und Propaganda in der amerikanischen Bevölkerung zu verbreiten«. Wikipedia ermögliche es, die »Darstellungen von historischen Ereignissen und biografischen Informationen von aktuellen und früheren amerikanischen Staatsoberhäuptern sowie von anderen Angelegenheiten, die die nationale Sicherheit und die Interessen der Vereinigten Staaten betreffen«, umzuschreiben. Da Artikel der Wikipedia bei Google-Suchen bevorzugt angezeigt und auch zum Training von großen Sprachmodellen (LLMs) von IT-Konzernen genutzt werde, drohe zusätzliche Gefahr.

In den ersten Monaten hatte die Trump-Regierung zehntausende Stellen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Regierungsagenturen wie der NASA, der Umweltbehörde EPA und der Ozeanografieagentur NOAA gestrichen und zahlreiche Forschungsprogramme beendet und zudem auch viele einschlägige Webseiten offline genommen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern versuchen seither verzweifelt, Datenbanken ins Ausland zu transferieren und die Wissensschätze damit zu retten. Beim Youtube-Livestream warnten Forscher vor den Folgen, wenn Wetter- und Klimadaten nicht mehr zur Verfügung stehen.

Die Budgetpläne der US-Regierung sehen auch für die Grundlagenforschung dauerhaft starke Einschnitte vor. Dem Kongress liegen Haushaltspläne für die National Institutes of Health (NIH) vor, die eine Kürzung um 40 Prozent vorsehen. Allein bei den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) sollen knapp vier Milliarden entfallen – in einer Zeit, in der Wissenschaftler vor der Gefahr einer neuen Pandemie warnen und die Masern sich in den USA wieder ausbreiten.

Beschneidung der MINT-Bildung

Die National Science Foundation (NSF) hat in diesem Jahr laut einem Bericht der »New York Times« bisher nur etwa halb so viel an Mitteln für die Grundlagenforschung neu zur Verfügung gestellt bekommen wie im selben Zeitraum des Vorjahres. Bereits laufende Förderverträge wurden um 1,5 Milliarden Dollar gekürzt. Das Gesamtbudget der Institution soll von neun Milliarden auf fünf Milliarden Dollar schrumpfen. Besonders hart treffen die Kürzungen Projekte der MINT-Bildung, mit denen junge Menschen für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technologie gewonnen werden sollen. Allein hierauf entfallen 656 Millionen Dollar an Einsparungen.

Vergangene Woche kündigten 16 Bundesstaaten an, gegen die Kürzungen bei der NSF zu klagen. »Die Angriffe der Regierung auf die Grundlagenforschung und die Bemühungen um Vielfalt in den MINT-Fächern werden unsere Wirtschaft und unsere nationale Sicherheit schwächen«, sagte Generalstaatsanwältin Letitia James aus New York als Vertreterin der Kläger.

Michael Kratsios, der Wissenschaftsberater im Weißen Haus, weist solche Vorwürfe zurück. Bei einer Veranstaltung der National Academy of Sciences sagte er, die Wissenschaft müsse sich daran gewöhnen, mit weniger Geld auszukommen, und dafür neue Prioritäten setzen. Er warf der US-Wissenschaft als Ganzes vor, dass »politische Voreingenommenheit die lebenswichtige Suche nach der Wahrheit verdrängt« habe. Die US-Universitäten hätten »das Vertrauen der Öffentlichkeit verloren«, indem sie sich an Aktivitäten zur Förderung von Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration beteiligt hätten, so Kratsios. Es sei besser, »weniger Geld für das Richtige auszugeben als mehr Geld für das Falsche«. Die Kürzungen, so der Präsidentenberater, würden die Wissenschaft »wieder zum Leben erwecken«.

Dieser Beitrag wurde am 6. Juni 2025 um 06:39 Uhr aktualisiert.

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