String Breaking: Quantencomputer simulieren die Wunder der starken Kernkraft

Unsere Welt steckt voller Geheimnisse – daran haben die ausgefeilten physikalischen Modelle nichts geändert. So ist zum Beispiel unklar, warum sich gewisse Elementarteilchen namens Quarks, aus denen der Atomkern besteht, niemals einzeln beobachten lassen. Quark-Paare scheinen durch eine enorme Kraft so stark miteinander verbunden, dass der Versuch, sie voneinander zu entfernen, gewaltige Mengen an Energie freisetzt: Zwischen den Paaren entstehen dann zwei neue Teilchen – so dass es hinterher doppelt so viele stark gebundene Paare gibt.
Dieses Phänomen haben Fachleute schon lange postuliert, konnten es aber weder direkt im Experiment beobachten noch direkt anhand der theoretischen Modelle ableiten. Doch nun ist es zwei Forschungsgruppen von der University of Princeton und von der Universität Innsbruck unabhängig voneinander gelungen, den Effekt im Labor mit Quantencomputern zu simulieren. Beide Ergebnisse wurden im Fachjournal »Nature« veröffentlicht.
»Die Arbeiten zeigen, dass die derzeitigen Quantentechnologien in der Lage sein könnten, komplexe Probleme in der Physik zu lösen«, schreibt der nicht an den Studien beteiligte Physiker Michele Burrello von der Universität Pisa in einem begleitenden Artikel.
Das Rätsel der starken Kernkraft
Seit dem 19. Jahrhundert ist bekannt, dass Leukipp und Demokrit mit ihrer Weltanschauung wohl richtiglagen: Alles im Universum scheint aus kleinsten Grundbausteinen aufgebaut. Wie sich im Lauf der Jahre jedoch herausstellte, bestehen die Atome selbst, die als unteilbar galten, aus noch kleineren Bestandteilen; einer Hülle aus Elektronen und einem Kern aus Protonen und Neutronen. Und auch Letztere lassen sich weiter zerlegen; Protonen und Neutronen setzen sich aus je drei Quarks zusammen, die der starken Kernkraft unterliegen. Und die macht ihrem Namen alle Ehre: Sie ist etwa 100 Billionen Billionen Billionen Mal stärker als die Schwerkraft und zirka 100-mal stärker als die elektromagnetische Kraft. Das macht sie aus Forschungssicht undurchdringlich, denn die Berechnungsmethoden der Physikerinnen und Physiker versagen meist bei solchen Kräften. Deshalb wirft die starke Kernkraft viele Fragen auf.
Ihre schiere Stärke scheint zum Beispiel zu verhindern, dass Quarks einzeln auftreten. Möchte man ein Quark-Antiquark-Paar voneinander trennen, wird derart viel Energie frei, dass zwischen ihnen neue Teilchen entstehen. Man kann sich die starke Kernkraft daher wie eine Art dehnbares Band vorstellen, das ein Teilchenpaar verbindet. Entfernt man die Partikel voneinander, wird das Band gespannt – bis es irgendwann reißt und an seinen Enden neue Teilchen entstehen. Dieses Phänomen wird als »string breaking« bezeichnet.
Diesen Effekt wollten zwei Forschungsgruppen in Innsbruck und in Princeton im Labor untersuchen – allerdings in vereinfachter Form. Anstatt sich Quark-Antiquark-Paaren in drei Dimensionen zu widmen, simulierten die Fachleute Elektronen und Positronen in einer zweidimensionalen Ebene. Denn im 2-D-Fall kann das »string breaking« auch bei der elektromagnetischen Anziehungskraft auftreten, wenn die Wechselwirkung stark genug ist.
Die US-amerikanischen Forschenden griffen hierfür auf den Quantencomputer »Sycamore« von Google zurück. Mit den 45 supraleitenden Qubits codierten sie ein Quantensystem aus einem Elektron und einem Positron, die sich stark anziehen – und daher wie durch einen String miteinander verbunden sind. Dann ließ das Team den Quantencomputer die Zeitentwicklung des Quantensystems berechnen und konnte beobachten, wie das unsichtbare Band – der String – reißt und dabei zwei neue Teilchen entstehen: je ein weiteres Positron und Elektron.
Etwas Ähnliches setzten auch die Fachleute in Innsbruck um. Sie griffen dabei auf einen Quantensimulator der US-Firma QuEra zurück, der aus 59 ultrakalten Rubidiumatomen besteht. Diese ließen sich durch Laser so anregen, dass sie sich wie ein Elektron-Positron-Paar verhalten, das einer starken elektromagnetischen Anziehung unterliegt. Indem die Forschenden die Stärke dieser Anziehung anpassten, konnten sie ebenfalls beobachten, wie der String zwischen den Teilchen reißt und dort neue Teilchen entstehen.
Damit haben die zwei Forschungsgruppen erstmals den vorhergesagten String-Breaking-Effekt in zwei Raumdimensionen simuliert. »Die von den beiden Gruppen entwickelten technischen Fortschritte ermöglichen es ihnen, die Dynamik komplexer Vielteilchensysteme mit Quantenplattformen zu untersuchen. Ihre Ergebnisse setzen die Messlatte für zukünftige Quantensimulationen hoch«, schreibt Burrello. Damit steigt auch die Hoffnung, dass Quantencomputer künftig dabei helfen werden, die starke Kernkraft genauer zu untersuchen – und somit einige der hartnäckigsten Rätsel der Physik zu lösen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.