Regeneration von Körperteilen: Wie Axolotl-Zellen wissen, wohin sie gehören

Im August des Jahres 1804 brachte Alexander von Humboldt ein seltsames Wesen von einer seiner Weltreisen mit. Von vorne sieht es aus, als würde es schelmisch grinsen. Die seitlich vom flachen Kopf abstehenden Kiemenäste erinnern an die Frisur eines Clowns. Doch das Kurioseste an dem Tier ist: Es verfügt über die Fähigkeit, Gliedmaßen, Organe und sogar Teile des Gehirns und Herzens nachwachsen zu lassen. Die Rede ist vom Axolotl (Ambystoma mexicanum), einem in mexikanischen Gewässern lebenden Schwanzlurch.
Wird ein Axolotl Opfer eines Angriffs, sammeln sich innerhalb kürzester Zeit Stammzellen an der verletzten Stelle und formen einen voll funktionstüchtigen Ersatz für den fehlenden Körperteil – samt Haut, Knochen, Bindegewebe, Blutgefäßen und Nervenbahnen. Woher aber kennen die Zellen die Position und die Identität der fehlenden Extremität? Elly Tanaka und ihr Team vom Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften haben nun den lang gesuchten Code geknackt. Im Fachjournal »Nature« zeigen die Forschenden, dass Zellen bei Verletzung ein Signal aussenden, das die Position codiert. Sie stießen auf ein Protein, das im Bindegewebe gesunder Gliedmaßen vorkommt. Sein Name: Hand2. Wird nun eine Extremität amputiert, fahren jene Zellen, die bereits Hand2 herstellen, ihre Produktion weiter hoch.
Sobald die Regeneration beginnt, bilden Stammzellen auf der vorderen Seite (der Seite des Daumens) das Signalmolekül FGF8, während die Stammzellen der hinteren Seite (kleiner Finger) das Molekül Shh bilden. Diese beiden Signale verstärken sich gegenseitig und weisen die Zellen an, zu wachsen und den sich regenerierenden Arm zu formen – eine frühere Entdeckung des Labors von Tanaka. »Was wir aber noch nicht wussten, war, welche Signale dafür sorgen, dass FGF8 und Shh während der Regeneration an den beiden Seiten der Gliedmaße eingeschaltet werden. Also die Grundlage für die Positionsinformation«, erklärt Leo Otsuki, Erstautor der Studie. Experimente an sich entwickelnden und regenerierenden Gliedmaßen bestätigten, dass Hand2 eine wichtige Rolle bei der Aktivierung von Shh nach einer Verletzung spielt.
Wenn man die verantwortlichen chemischen Signale kennt, lassen sich diese auch gezielt verändern. Als die Forscher Zellen von der Daumenseite des Arms in die Seite des kleinen Fingers verpflanzten, regenerierten sich diese Daumenzellen tatsächlich und verhielten sich wie Zellen des kleinen Fingers, da sie in den Bereich des Shh-Signals fielen. »Wir waren in der Lage, Zellen von der Vorderseite umzuprogrammieren und ihre Identität zu verändern«, sagt Otsuki. Diese Erkenntnis birgt ein immenses Potenzial für das so genannte Tissue Engineering, den Nachbau von Gewebe im Labor.
Seit Jahrzehnten aber stellen sich Axolotl-Forschende vor allem eine Frage: Kann der Mensch, was der Axolotl kann, wenn man nur den richtigen genetischen Schalter umlegt? Schließlich verfügt auch unser Körper über Mechanismen, die während der Embryonalentwicklung die Position für die Ausbildung der Gliedmaßen und anderer Körperteile angeben. »Die Tatsache, dass der Axolotl diesen Schaltkreis im Erwachsenenalter wiederverwendet, um seine Gliedmaßen zu regenerieren, ist spannend«, sagt Tanaka. »Das deutet darauf hin, dass, wenn ein ähnliches Gedächtnis in menschlichen Gliedmaßen vorhanden ist, wir diese Signale eines Tages nutzen könnten, um neue Regenerationsfähigkeiten freizusetzen.« Zwar ist der Mensch nur sehr entfernt mit Amphibien verwandt, doch wer weiß: Zusammen mit anderen Erkenntnissen aus dem Axolotl-Modell könnte es vielleicht eines Tages möglich sein, auch bei Säugetieren einen fehlenden Arm oder ein Bein nachwachsen zu lassen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.