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Wal-Kommunikation: Pfiffe, Klicks und Gesänge

Seit Jahrzehnten versuchen Fachleute, die Kommunikation von Walen und Delfinen zu entschlüsseln. Nun hoffen sie auf große Fortschritte durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz.
Ein Pottwal schwimmt unter Wasser in einem klaren, blauen Ozean. Der Wal ist von der Seite zu sehen, mit geöffnetem Maul und sichtbarer Fluke. Sonnenlicht bricht durch die Wasseroberfläche und erzeugt Muster auf der Haut des Wals. Keine Menschen sind im Bild.
Zu den am besten untersuchten Walsprachen gehört die der Pottwale (Physeter macrocephalus). Sie verständigen sich über kurze Sequenzen von zwei bis 40 Klicks, die Fachleute »Codas« nennen. Ähnlich wie beim Morsecode stecken die Informationen dabei sowohl in den Lauten selbst als auch in den unterschiedlich langen Pausen dazwischen.

Mal senden sie ein klickendes und knackendes Stakkato von Lauten aus, das ein bisschen an einen Morsecode erinnert. Dann wieder komponieren sie aus quietschenden und zwitschernden, glucksenden und grollenden, knarrenden und heulenden Tönen fast unwirklich klingende Gesänge. Wale und Delfine haben ein beeindruckend großes Repertoire von Geräuschen auf Lager, das Fachleute wie Laien fasziniert. Es gibt inzwischen keinen Zweifel mehr daran, dass die Tiere auf diese Weise miteinander kommunizieren. Was genau aber wollen sie sagen? Sind ihre Botschaften vielleicht sogar für Menschen zu verstehen? Und können oder sollten wir ihnen antworten? Solche Fragen stoßen in der letzten Zeit auf immer größeres Interesse. Denn die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) bietet auch bei der Erforschung von Tiersprachen ganz neue Möglichkeiten.

Die Idee, sich mit Meeressäugern zu »unterhalten«, ist keineswegs neu. Schon in den 1970er Jahren hat der US-amerikanische Meeresbiologe Louis Herman von der University of Hawaii versucht, sich mit Großen Tümmlern zu verständigen. Die Delfine galten als besonders vielversprechende Kandidaten für ein solches Unterfangen. Schließlich leben sie in sehr komplexen Gemeinschaften, haben große Gehirne und können sich in Sachen geistige Fähigkeiten durchaus mit Primaten messen. Gute Voraussetzungen also, um ein ausgefeiltes Kommunikationssystem zu entwickeln. Und weil damals viele Vertreter dieser Art in Delfinarien lebten, gab es genug Gelegenheiten für umfangreiche Trainingsprogramme.

Dabei setzte man aber nicht etwa auf die natürlichen Laute der Tiere, um mit ihnen zu kommunizieren. Stattdessen brachten Louis Herman und sein Team zwei jungen Weibchen namens Phoenix und Ake künstliche Sprachen bei. Geräusche aus dem Computer oder Gesten ihres Trainers repräsentierten hierbei verschiedene Gegenstände und Aktionen.

Themenwoche: Faszination Wale & Delfine

Gruppe neugieriger Schwarzdelfine

Wale und Delfine haben die Menschen seit jeher fasziniert. Einst schrieb man ihnen gar übernatürliche Kräfte zu. Heute weiß man viel mehr über ihre Lebensweise – dank moderner Methoden wie der künstlichen Intelligenz. Mit Ihrer Hilfe versuchen Forschende zu ergründen, was sich Buckelwale und Co zu sagen haben. Und warum tragen Orcas mitunter tote Lachse auf ihrem Kopf herum? Antworten auf diese und weitere Fragen liefert »Spektrum.de« in einer Themenwoche.

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Alle Inhalte zur Themenwoche »Faszination Wale & Delfine« finden Sie auf unserer entsprechenden Themenseite.

Ähnlich wie Wörter in einem Satz ließen sich diese Symbole auf unterschiedliche Weise aneinanderreihen, so dass sich jeweils andere Bedeutungen ergaben. Wurde Phoenix zum Beispiel »Surfbrett«, »holen« und »Person« signalisiert, brachte sie das Surfbrett zu einer Person. Lautete die Reihenfolge dagegen »Person«, »holen« »Surfbrett«, so transportierte sie die Person zum besagten Objekt. Und sie verstand auch problemlos, dass sich das Zeichen für »Reifen« nicht nur auf ein bestimmtes Exemplar bezog, sondern auf Reifen aller Größen und Farben.

Mit der Zeit meisterten die Tiere die Bedeutung verschiedener Symbole genauso wie die Tücken des Satzbaus sowie eine Reihe anderer sprachlicher Herausforderungen. So interpretierten sie erfolgreich Sätze, in denen neue Wörter oder unbekannte Konstruktionen vorkamen. Sie konnten beantworten, ob sich ein bestimmter Gegenstand in ihrem Becken befand oder nicht. Und sie waren sogar dazu in der Lage, scheinbar unmögliche Forderungen zu erfüllen. Der Befehl »Reifen« und »durch« ließ sich zum Beispiel sogar dann umsetzen, wenn der Gegenstand am Boden des Beckens lag: Man musste ihn nur an einer Seite mit der Schnauze anheben und dann hindurchschwimmen.

Gepfiffene Namen

Delfine haben also ein beeindruckendes Talent dafür, die Prinzipien menschlicher Sprache zu verstehen und anzuwenden. Solche Versuche sind allerdings aus der Mode gekommen. Inzwischen liegt der Fokus mehr auf dem Entschlüsseln von Botschaften, die die Meeressäuger in ihrer eigenen Sprache senden. Davon gibt es jede Menge, und die wenigsten davon sind bisher für Menschen verständlich. Doch es gibt Ausnahmen.

Dazu gehören zum Beispiel die so genannten »Signature Whistles« von Großen Tümmlern (siehe »Zahnwale tönen mit der Nase«). Jedes Individuum hat seinen eigenen, ganz persönlichen Pfiff auf Lager, den es sich schon als Kalb aneignet. Oft besteht er aus Lauten, die der Delfin von seiner Mutter oder anderen Artgenossen gehört und dann abgewandelt hat. Eine Studie an frei lebenden Tümmlern in Florida hat ergeben, dass solche individuellen Laute rund die Hälfte aller überhaupt geäußerten Pfiffe ausmachen. Offenbar spielen sie im Leben der Tiere also eine wichtige Rolle. Aber was bedeuten sie? Nutzen die Delfine sie vielleicht auf ähnliche Weise wie Menschen ihren Namen?

Diese Idee fasziniert Forscherinnen und Forscher seit Jahrzehnten. Tatsächlich haben inzwischen zahlreiche Studien gezeigt, dass die Signaturpfiffe als akustische Personalausweise dienen: Problemlos können die Tümmler die Signale von Familienmitgliedern, Bekannten und Fremden unterscheiden – und sie haben ein extrem gutes Gedächtnis dafür. So erkennen die Tiere die Laute von früheren Bekannten auch nach mehr als 20 Jahren Trennung wieder, wie Jason Bruck von der University of Chicago in einem Playback-Experiment festgestellt hat.

Zahnwale tönen mit der Nase | Zahnwale wie etwa Schweinswale oder Pottwale verständigen sich über Echoortung. Die Töne erzeugen sie dabei nicht wie andere Säugetiere mit dem Kehlkopf, sondern mit Schalllippen in der Nase. Wenn die Tiere tief unter die Meeresoberfläche tauchen, kollabieren ihre Lungen. Um Töne zu erzeugen, nutzen sie daher die im Muskelsack gesammelte Restluft: Hier öffnet sich für eine Millisekunde ein Ventil, wodurch ein Luftstoß an den Schalllippen in der Nase entlangströmt. Die Schalllippen liegen zwischen mehreren Fettpolstern und Luftsäcken im Bereich des Blaslochs. Die Vibration, die hier entsteht, wird weitergeleitet in die aus Fett- und Bindegewebe bestehende Melone oberhalb des Oberkiefers und von hier ausgesendet. Das Lautspektrum der Zahnwale besteht vor allem aus kurzen hochfrequenten Klick- und Pfeiftönen. Erstere befinden sich größtenteils im für uns nicht hörbaren Ultraschallbereich und werden meist zur Echoortung genutzt. Pfiffe dienen der Kommunikation.

Wahrscheinlich helfen die Äußerungen dabei, den Zusammenhalt zwischen den Gruppenmitgliedern zu stärken. Große Tümmler leben in komplexen Gemeinschaften, in denen sich kleinere Gruppen immer wieder zu größeren zusammenschließen und dann wieder in kleinere Einheiten zerfallen. Um da den Überblick zu behalten, kann es durchaus nützlich sein, wenn alle Bekannten Namen haben. Zumal es unter Wasser nur schwer möglich ist, Artgenossen aus einiger Entfernung am Aussehen oder Geruch wiederzuerkennen.

Es könnte sogar sein, dass sich die Tiere gegenseitig mit ihren gepfiffenen Namen ansprechen. Das legen faszinierende Beobachtungen nahe, die ein Team um Vincent Janik und Stephanie King von der University of St Andrews vor der Küste Schottlands gemacht hat. Hört ein Tümmler dort den Signaturpfiff eines Artgenossen, dauert es meist keine Sekunde, bis er diesen imitiert. Vor allem passiert das, wenn er zu dem Pfeifer eine enge Bindung hat, wie es etwa zwischen Mutter und Kind oder zwischen männlichen Verbündeten der Fall ist.

Dabei geben die Imitatoren nie eine exakte Kopie eines Pfiffs zum Besten, sondern wandeln das Original leicht ab. Trotzdem scheint der Imitierte keinen Zweifel daran zu haben, dass er gemeint ist. Als Vincent Janik und Stephanie King vor Schottland Signaturpfiffe aufzeichneten und leicht veränderte künstliche Versionen davon wieder abspielten, antworteten die jeweils Angesprochenen prompt. Aber eben auch nur sie.

Bei dieser Form der Unterhaltung scheint es also nicht darum zu gehen, andere zu täuschen. Wenn sie sich hinter einer fremden Identität verstecken wollten, müssten die Imitatoren ja möglichst genaue Kopien der fremden Pfiffe erzeugen. Und anders als einige männliche Singvögel wollen die Delfine ihr Gegenüber nicht provozieren oder in die Schranken weisen. Aggressionen sind in solchen Situationen nicht im Spiel. Vielmehr scheint das gegenseitige Rufen tatsächlich den Zusammenhalt zu stärken und anzuzeigen, wo sich der andere gerade befindet.

Die Klick-Sprache der Pottwale

Auch im Leben der großen Walarten spielt Kommunikation eine wichtige Rolle. Zu den am besten untersuchten »Meeressprachen« gehört mittlerweile die der Pottwale. Anders als zum Beispiel Buckelwale können diese zwar nicht mit beeindruckenden Gesängen aufwarten (siehe »Bartenwale tönen mit dem Kehlkopf«). Trotzdem haben sie keine Schwierigkeiten damit, ihre Botschaften an den Artgenossen zu bringen. Dabei kommt ihnen das äußerst leistungsfähige Sonarsystem in ihrer Nase zugute.

Ursprünglich nutzten sie diese Echoortung, um Beute zu finden und in der Dunkelheit der Tiefsee zu navigieren. Dazu stoßen sie klickende Geräusche aus und analysieren dann deren Echos. Im Lauf ihrer Evolution haben sie aber auch eine Möglichkeit gefunden, die Laute zur Verständigung zu nutzen. So ist ein ausgefeiltes Kommunikationssystem entstanden, das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erst allmählich entschlüsseln.

Bei ihren Unterhaltungen tauschen zwei oder mehr Pottwale kurze Sequenzen von zwei bis 40 Klicks aus, die Fachleute »Codas« nennen. Ähnlich wie beim Morsecode scheinen die Informationen dabei sowohl in den Lauten selbst als auch in den unterschiedlich langen Pausen dazwischen zu stecken. Diese Elemente kombinieren die Tiere zu verschiedenen Typen von Codas, die sich je nach Meeresregion deutlich unterscheiden. So sprechen die Bewohner des Atlantiks andere Dialekte als ihre Kollegen im Pazifik oder im Indischen Ozean. Und auch jede Familie hat ihre akustischen Eigenheiten, die von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. Die Kälber brauchen allerdings mindestens zwei Jahre, bis sie den jeweiligen Dialekt beherrschen. Während sie anfangs alles Mögliche vor sich hinplappern, beschränken sie ihre Laute später auf diejenigen Sequenzen, die in ihrer Familie angesagt sind.

Was genau die einzelnen Codas bedeuten, ist allerdings noch weitgehend unklar. Ähnlich wie bei den Delfinen scheinen einige davon Informationen über die Identität des Rufers zu liefern. Aber was ist mit dem Rest? Das 2020 ins Leben gerufene Projekt »Cetacean Translation Initiative« (CETI), hat es sich zu Aufgabe gemacht, dieses Rätsel mit Hilfe von KI zu lösen.

Bartenwale tönen mit dem Kehlkopf | Anders als Zahnwale äußern sich Bartenwale hauptsächlich im tiefen Frequenzbereich. Sie sind berühmt für ihre Unterwassergesänge, die sie mit ihrem speziellen Kehlkopf (Larynx) erzeugen. Luft wird durch die Blaslöcher angesaugt und füllt den Atemtrakt. Anschließend presst die Lunge die Luft zurück zum Larynx, wo der Ton durch Vibrationen spezieller Strukturen entsteht, die bei Zahnwalen nicht vorkommen: einer Knorpelstruktur und eines darüberliegenden Fettpolsters. Ein Luftsack im Kehlkopf fängt die Luft auf und führt sie zur Lunge zurück. Dies ermöglicht einen kontinuierlichen Gesang während langer Phasen des Atemanhaltens.

Die Forschungs- und Naturschutzinitiative hat sich mit Partnern von insgesamt 15 Universitäten und anderen Einrichtungen zusammengetan, um die Pottwale vor der Karibikinsel Dominica zu belauschen. Dabei kommen Unterwassermikrofone zum Einsatz, die an Bojen oder Drohnen, an Roboterfischen oder mit Saugnäpfen an den Walen selbst befestigt sind. Den so aufgezeichneten Wust an Klicks gilt es dann zu analysieren.

Das aber ist eine größere Herausforderung, als es bei unverständlichen Äußerungen unserer eigenen Art der Fall wäre. Denn menschliche Sprachen haben in vielerlei Hinsicht eine ähnliche Struktur. Selbst wenn man den Sinn des Gesagten nicht versteht, kann man daher oft recht gut erkennen, wo die einzelnen Wörter oder Sätze beginnen und enden. Bei Tiersprachen dagegen muss man erst einmal nach den Einheiten suchen, die eine Bedeutung haben könnten. Das war bis vor Kurzem ein schwieriges und langwieriges Unterfangen. Fachleute mussten die aufgezeichneten Lautfolgen einzeln durchgehen und akribisch miteinander vergleichen, um darin Muster zu entdecken.

Mit Hilfe des maschinellen Lernens lässt sich diese Aufgabe heutzutage aber an technische Helfer delegieren. Wenn man ihnen genügend Daten aus dem Ozean zum Trainieren zur Verfügung stellt, können sich Computer selbst zu Experten für Pottwalsprache ausbilden: Spezielle Algorithmen analysieren dann gewaltige Mengen von Klicks und suchen darin nach charakteristischen Sequenzen. Diese Form der künstlichen Intelligenz hat in den letzten zehn Jahren rasante Fortschritte gemacht und soll nun helfen, die Kommunikation verschiedener Tierarten besser zu verstehen.

Was künstliche Intelligenz verrät

So ist es bereits möglich, die Klicks von Pottwalen automatisch zu erkennen und zu unterscheiden, ob sie gerade zur Navigation oder zur Kommunikation eingesetzt werden. Auch lassen sich die aufgezeichneten Codas einzelnen Individuen oder Clans zuordnen. Doch dabei soll es nicht bleiben. Fachleute hoffen, den verschiedenen Sequenzen künftig tatsächlich eine Bedeutung zuweisen zu können.

Denn im Vergleich zu früheren Methoden haben die Algorithmen gleich mehrere Vorteile. Zum einen können sie in kurzer Zeit gewaltige Mengen von Daten analysieren und dabei auch Muster erkennen, die menschlichen Augen und Ohren wohl verborgen geblieben wären. Zum anderen gehen sie objektiver an die ganze Sache heran. Die Gefahr, die Lautäußerungen zu sehr durch die menschliche Brille zu betrachten und sich dadurch zu falschen Schlüssen verleiten zu lassen, ist bei einem Algorithmus wahrscheinlich geringer als bei Forscherinnen und Forschern aus Fleisch und Blut.

Im Zuge solcher Untersuchungen wird immer klarer, dass die Pottwalsprache deutlich komplexer ist als gedacht. Das löst wohl eines der Rätsel, mit denen sich Fachleute schon länger herumschlagen: Einerseits sind weltweit nur rund 150 Codatypen bekannt, von denen die Karibikbewohner gerade einmal 21 im Repertoire haben. Andererseits zeigen die Tiere ein sehr differenziertes Verhalten und Sozialleben. Wie geht das mit derart beschränkten Ausdrucksmöglichkeiten?

»Es besteht die Möglichkeit, dass Pottwale ein extrem komplexes und nuancenreiches Kommunikationssystem haben«David Gruber, Meeresbiologe

Um das herauszufinden, hat das CETI-Team kürzlich mehr als 8700 Codas eines aus 400 Mitgliedern bestehenden Clans in der Ostkaribik analysiert. Dabei kamen bisher unbekannte Variationen in der Struktur dieser Sequenzen ans Licht. So verändern die Tiere mitunter die Intervalle zwischen den Klicks. In Anlehnung an einen Begriff aus der Musik, der für das Verlängern oder Verkürzen von Tönen steht, nennen die Experten solche Varianten »Rubato«. Zudem hängen die Wale an Standardcodas manchmal noch einen Klick als Verzierung an. Ob und wie sie die beiden Methoden einsetzen, hängt dabei vom vorherigen Verlauf des Walgesprächs ab. Unabhängig vom Zusammenhang variieren sie zudem auch noch Rhythmus und Tempo der Sequenzen. All diese Abwandlungen lassen sich frei miteinander kombinieren, so dass eine große Bibliothek von unterschiedlichen Codas entsteht.

»Es besteht also die Möglichkeit, dass Pottwale ein sehr komplexes und nuancenreiches Kommunikationssystem haben«, sagt CETI-Leiter David Gruber von der City University of New York. »Das inspiriert uns, den Tieren weiter zuzuhören.« Das Faszinierende für ihn und sein Team sind unter anderem die Parallelen zur menschlichen Sprache. »Diese Studie zeigt, dass die Pottwalkommunikation zum Teil ganz ähnlich strukturiert ist«, erklärt Jacob Andreas vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), der als Experte für maschinelles Lernen bei CETI mitarbeitet. »Wir sind sehr gespannt darauf, zu untersuchen, welche Botschaften die Tiere damit übermitteln.«

Parallelen zu unserer Sprache fand ein internationales Forschungsteam um Ellen Garland von der University of St Andrews 2025 auch bei Buckelwalen. Bartenwale sind berühmt für ihre Unterwassergesänge. Ähnlich wie Menschen reihen sie beim Singen ihre Strophen aneinander. Mit Hilfe von KI stellte sich heraus, dass in ihren Gesängen wiederkehrende Elemente vorkommen, deren Häufigkeitsverteilung jener in menschlichen Sprachen gleicht. Sie erleichtern den Tieren vermutlich das Erlernen der Gesänge und somit deren kulturelle Weitergabe.

Eine der besten Möglichkeiten, um die Botschaften in den Gesängen und Klicks zu entschlüsseln, ist die Suche nach Verbindungen zwischen den Lauten der Tiere und ihrem Verhalten. Doch bis Menschen tatsächlich verstehen können, worüber Pottwale und Buckelwale reden, wird noch viel Forschungsarbeit nötig sein.

Zuhören oder reden?

Was aber, wenn das tatsächlich klappt? Wäre es dann möglich, ein Gespräch mit den Meeressäugern anzufangen? Und sollte man das überhaupt probieren? Für Projektleiter David Gruber ist das nicht das Ziel. »Wir sagen oft, dass wir bei CETI nicht versuchen, mit Walen zu sprechen«, schreibt der Meeresbiologe auf der Website der Initiative. »Wir hören zu und übersetzen, was sie sagen.« Damit wolle man vor allem mehr Verständnis für diese faszinierenden Tiere wecken und so zu ihrem Schutz beitragen.

Für Mark Ryan von der Universität Wageningen in den Niederlanden und Leonie Bossert von der Universität Tübingen ist das ein überzeugender Ansatz. In einer Veröffentlichung namens »Dr. Doolittle benutzt KI« haben sie die ethischen Herausforderungen der Erforschung von Walsprachen unter die Lupe genommen. Aus ihrer Sicht gibt es einige Argumente für die wissenschaftlichen Lauschaktionen. Wenn es mit Hilfe der KI gelänge, die Klicks oder Gesänge in etwas für Menschen Begreifliches zu übersetzen, könne das gleich mehrere Vorteile haben. Wer die Tiere und ihre Verhaltensweisen besser verstehe, könne sie vielleicht auch erfolgreicher vor Schiffskollisionen, dem unbeabsichtigten Tod in Fischernetzen oder den störenden Auswirkungen menschlicher Sonarsysteme schützen. Wenn man Rufe erkenne, die Wale in Notsituationen ausstoßen, könne man womöglich illegalem Walfang auf die Spur kommen oder Strandungen verhindern.

Die emotionale Botschaft der Wale

Zudem sei die emotionale Botschaft der sprechenden Wale nicht zu unterschätzen. Das bewies schon in den 1970er Jahren eine Schallplatte mit Buckelwalgesängen, die der 2023 verstorbene Walforscher Roger Payne damals veröffentlicht hat. Die Stimmen aus dem Ozean verkauften sich nicht nur enorm gut, sondern brachten auch viel Unterstützung für den Schutz der Meeresbewohner. Vielleicht kann eine erfolgreiche Übersetzung der Walsprache einen ähnlichen Effekt erzielen.

Allerdings sehen Mark Ryan und Leonie Bossert Probleme beim Einsatz der technischen Übersetzungshelfer. Diese treten aus ihrer Sicht vor allem dann auf, wenn man sich nicht aufs Zuhören beschränkt. Versuche, mit den Tieren zu sprechen, halten die beiden Fachleute derzeit nicht für sinnvoll. Denn das kann ihrer Einschätzung nach zu emotionalen, körperlichen und kulturellen Schäden bei den Walen führen.

So weiß man inzwischen, dass es bei etlichen Arten tatsächlich unterschiedliche Kulturen gibt: Die Bewohner verschiedener Meeresregionen unterscheiden sich nicht nur in ihren Jagdmethoden oder kulinarischen Vorlieben, sondern eben auch in ihrer Kommunikation. Wer den Tieren also die Laute anderer Populationen oder sogar künstliche Stimmen aus dem Computer vorspielt, verändert damit womöglich die lokale Walsprache. Bisher kann niemand einschätzen, was das für die verschiedensten Lebensbereiche von der Jagd über die Navigation bis hin zur Paarung bedeuten würde. »Wenn Menschen sich einmischen, könnte das für die Wale dramatische und fundamentale Konsequenzen haben«, schreiben die Forscher.

Zudem sei es riskant, einfach irgendwelche Botschaften in die Ozeane zu senden, deren Bedeutung noch unklar ist. Wer weiß, ob sie die Tiere nicht verwirren, ihr Sonar beeinflussen und sie stranden lassen können? »Wir sollten offen sein für die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz«, resümieren Mark Ryan und Leonie Bossert. »Aber wir sollten sicherstellen, dass sie uns mit anderen Tieren verbindet, den Artenschutz voranbringt und unser generelles Verhältnis zu Natur verbessert.« Zu viel Quatschen ist dabei nicht immer hilfreich.

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  • Quellen

Andreas, J. et al.: Toward understanding the communication in sperm whales. iScience 25, 2022

King, S. et al.: Vocal copying of individually distinctive signature whistles in bottlenose dolphins. Proceedings of the Royal Society B, 2013

Ryan, M., Bossert, L.: Dr. Doolittle uses AI: Ethical challenges of trying to speak whale. Biological Conservation 295, 2024

Sharma, P. et al.: Contextual and combinatorial structure in sperm whale vocalisations. Nature Communications 15, 2024

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