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Ernährungsweise: Das Geheimnis der Buckelwale

Bartenwale sind die Giganten der Meere. Ihre Nahrung allerdings besteht aus winzigen Planktonorganismen, die sie aus dem Wasser filtern. Wie die bedrohten Meeressäuger ihre Beute aufspüren, erscheint bislang rätselhaft.
Ein Buckelwal (Megaptera novaeangliae) beim Abtauchen
Buckelwale (Megaptera novaeangliae) und andere Bartenwale gehören zu den größten Geschöpfen der Erde, und doch ernähren sie sich von einigen der kleinsten Meerestiere.

Friss, bis du fett und satt bist, lautet ihre Mission. Um von ihren polaren und subpolaren Nahrungsgründen aufbrechen zu können, müssen die Buckelwale Energiereserven aufbauen und pro Woche knapp eine Tonne Speck zulegen. Dann werden sie monatelang tausende Meilen zurücklegen und schließlich die tropischen Gewässer erreichen, wo sie sich paaren und Junge zur Welt bringen. Paradoxerweise verschlingen diese gewaltigen Säugetiere, die gut 15 Meter lang und bis zu 30 Tonnen schwer sein können, massenhaft ausgerechnet die kleinsten Beutetiere, die das Meer bereithält: Krill. Die garnelenartigen Krebse leben in allen Weltmeeren, kommen aber besonders reichlich in den kalten Gewässern hoher Breitengrade vor.

Über die Nahrungsaufnahme der Buckelwale (Megaptera novaeangliae) wissen wir bereits eine ganze Menge. Die Tiere filtrieren Meerwasser mit Hilfe von Keratinplatten, so genannten Barten, die an ihrem Oberkiefer sitzen und an die zerfaserten Borsten einer abgenutzten Zahnbürste erinnern. Um sich täglich mehr als 1000 Kilogramm Krill einzuverleiben, müssen die Wale die Stellen ausfindig machen, an denen sich ihre Beute ansammelt. Haben sie einen solchen Schwarm aufgespürt, wenden sie eine clevere kooperative Jagdtaktik an: Im Kreis schwimmend stoßen sie Luftblasen aus. Damit erzeugen sie eine Art Netz, das den Krill einpfercht. Dann stürzen sie sich mit weit aufgerissenem Maul auf die gefangene Beute, lassen dabei kubikmeterweise Meerwasser, das Krill enthält, in ihren faltenreichen Kehlsack fließen und pressen schließlich den Fang gegen ihre Barten, um so die Nahrung vom Wasser zu trennen.

Trotz aller Erkenntnisse über diese faszinierenden Geschöpfe wissen wir immer noch nicht, wie die Bartenwale – zu denen neben den Buckelwalen auch Blau-, Finn- und Seiwale gehören – ihr Futter überhaupt finden. Die mit ihnen verwandten Zahnwale, darunter Pottwale und Delfine, spüren ihre Beute per Echoortung auf. Bartenwale besitzen eine solche Fähigkeit nicht. Dennoch gelingt es ihnen irgendwie, die Schwärme ihrer Miniaturbeutetiere in den unendlichen Weiten der Ozeane zu lokalisieren.

Dieses Geheimnis gilt es zu lüften – nicht nur, um eine große Wissenslücke über bedeutende Arten zu schließen. Vor allem geht es bei der Frage nach der Nahrungssuche von Bartenwalen um den Schutz einer besonders stark bedrohten Bartenwalspezies: des Atlantischen Nordkapers.

Der Atlantische Nordkaper (Eubalaena glaciali), ein dunkler, gedrungener Wal, der sich von reiskorngroßen Ruderfußkrebsen (Copepoda) ernährt, gilt als eines der gefährdetsten Säugetiere unseres Planeten. Der kommerzielle Walfang hatte die Spezies bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts fast komplett ausgerottet, so dass der Völkerbund 1935 die Jagd untersagte. Doch im Gegensatz zu anderen Walen, deren Anzahl infolge des Walfangs ebenfalls stark zurückgegangen war, erholte sich der Atlantische Nordkaper nicht. Die Nahrungsgründe dieser Tiere vor der Küste von Neuengland und den kanadischen Seeprovinzen überlappen sich mit Gebieten, die vom Menschen stark genutzt werden. Kollisionen mit Schiffen sowie das Verfangen in Fischernetzen forderten einen schrecklichen Tribut unter den Nordkapern, aber auch die Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Habitate und Beutetiere trugen das Ihre dazu bei.

Themenwoche: Faszination Wale & Delfine

Gruppe neugieriger Schwarzdelfine

Wale und Delfine haben die Menschen seit jeher fasziniert. Einst schrieb man ihnen gar übernatürliche Kräfte zu. Heute weiß man viel mehr über ihre Lebensweise – dank moderner Methoden wie der künstlichen Intelligenz. Mit Ihrer Hilfe versuchen Forschende zu ergründen, was sich Buckelwale und Co zu sagen haben. Und warum tragen Orcas mitunter tote Lachse auf ihrem Kopf herum? Antworten auf diese und weitere Fragen liefert »Spektrum.de« in einer Themenwoche.

Wal-Kognition: Mit Köpfchen durch die Wellen

Whalewatching: Zu Gast auf dem Meer

Orcas: Trendsetter der Ozeane

Wal-Kommunikation: Pfiffe, Klicks und Gesänge

Sprache der Schwertwale: »Eine Funktion der Dialekte besteht wohl darin, Inzucht zu vermeiden«

Ernährungsweise: Das Geheimnis der Buckelwale

Alle Inhalte zur Themenwoche »Faszination Wale & Delfine« finden Sie auf unserer entsprechenden Themenseite.

Schätzungen zufolge sollen weniger als 350 Atlantische Nordkaper verblieben sein, darunter lediglich 70 Weibchen im fortpflanzungsfähigen Alter. Hochrechnungen lassen befürchten, dass die Spezies binnen weniger Jahrzehnte ausgestorben sein dürfte. Zu verstehen, wie Bartenwale ihre Beute aufspüren, könnte helfen vorherzusagen, wo die Wale fressen. Damit böte sich die Chance, in diesen Gebieten die Aktivitäten des Menschen an die Bedürfnisse der Tiere anzupassen.

Es geht hier aber nicht nur um eine einzige Walart. Atlantische Nordkaper und andere Bartenwale fungieren als Ingenieure des Ökosystems: Sie fressen in tiefen Gewässern und scheiden über ihren Kot Nährstoffe an der Oberfläche aus, die das Wachstum von mikroskopisch kleinen, pflanzenähnlichen Organismen fördern, dem Phytoplankton. Dieses wiederum dient dem Zooplankton wie dem Krill, den Copepoda und anderen schwebenden Geschöpfen, die ihrerseits von größeren Tieren gefressen werden, als Futter. Das Körpergewebe eines durchschnittlichen Wals speichert zudem schätzungsweise 30 Tonnen Kohlenstoffdioxid, das sonst zur globalen Erderwärmung beitrüge. Und wenn die riesigen Tiere sterben, sinken ihre Kadaver auf den Meeresboden, wo sie ganze Gemeinschaften von Tiefseeorganismen versorgen – von Haien bis hin zu Schwefelbakterien –, die darauf spezialisiert sind, diese so genannten Walstürze als Nahrung und Unterschlupf zu nutzen. Das heißt: Gesunde Bartenwalpopulationen sind ein Garant für ein gesundes Ökosystem, von dem zahlreiche andere Lebewesen profitieren.

Gesunde Bartenwalpopulationen sind ein Garant für ein gesundes Ökosystem

Um unmittelbar zu erfahren, wie ein Bartenwal seine Nahrung findet, kann man ihn mit einem Gerät ausstatten, das sein Verhalten unter Wasser aufzeichnet und entsprechende Daten von seiner Nahrungssuche übermittelt. Das verbietet sich allerdings beim Atlantischen Nordkaper. Diese Spezies ist durch menschliche Aktivitäten bereits so gestresst, dass jeder direkte Kontakt mit ihr die Situation noch verschlimmert. Glücklicherweise hat der Nordkaper Verwandte wie den Buckelwal, die weit weniger bedroht sind. Einer der besten Plätze, Buckelwale beim Fressen zu beobachten, sind ihre Nahrungsgründe – am Ende der Welt.

Reise zum Ende der Welt

Im Jahr 2020, zwei Wochen bevor die Weltgesundheitsorganisation den Ausbruch von Covid-19 als Pandemie einstufte, machte ich mich auf den Weg Richtung Antarktis. Eingeladen vom Kreuzfahrtunternehmen Polar Latitudes, um an Bord eines Schiffs Vorträge über die Evolution der Wale zu halten, begleitete ich sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche die Strategie der Nahrungssuche bei Bartenwalen ergründen wollten.

Durch die Teilnahme an einer touristischen Expedition konnte sich das internationale Team die immensen Kosten für den Weg zum weißen Kontinent sparen. Im Gegenzug für drei Privatkabinen, Verpflegung sowie die Nutzung von zwei robusten Zodiac-Schlauchbooten informierten die Fachleute die anderen Passagiere regelmäßig über den Stand ihrer Forschungsarbeit, die als spezielle Walexpedition unter Beteiligung von Laien ausgewiesen war.

Kleinvieh | Der Antarktische Krill (Euphausia superba), die bevorzugte Nahrung der Buckelwale, lebt in riesigen Schwärmen in den Gewässern des Südlichen Ozeans. Ein einzelnes Individuum misst maximal sechs Zentimeter.

Die Forschungsgruppe überprüfte eine Hypothese zur Nahrungssuche von Bartenwalen, die ursprünglich von Untersuchungen an Meeresvögeln herrührte. Mitte der 1990er Jahre hatten Gabrielle Nevitt von der University of California in Davis und ihre Kollegen nachgewiesen, dass die vom Phytoplankton freigesetzte Verbindung Dimethylsulfid (DMS) Meeresvögel der Ordnung Röhrennasen – dazu gehören Albatrosse und Sturmvögel – herbeilockt, die sich dann am Phytoplankton abweidenden Zooplankton gütlich tun. Dabei handelt es sich um ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Das Anlocken der Meeresvögel durch den DMS-Geruch bietet dem Phytoplankton einen gewissen Schutz vor dem Zooplankton. Selbst am untersten Ende der Nahrungskette ist der Feind deines Feindes dein Freund.

Der US-amerikanische Physiker Daniel Zitterbart von der Woods Hole Oceanographic Institution, der mittels Fernerkundung Wale und Pinguine erforscht, und die australische Meeresbiologin und Walspezialistin Kylie Owen vom Naturhistorischen Reichsmuseum in Stockholm wollten wissen, ob nicht auch Wale ähnlich wie Meeresvögel von DMS angelockt würden. Falls dem so wäre, sollten die Tiere dem chemischen Konzentrationsgradienten folgen und so theoretisch zu dichteren Ansammlungen von Krill und anderen Phytoplanktonfressern gelangen als bei rein zufälliger Nahrungssuche. Um dies herauszufinden, taten sich Zitterbart und Owen mit weiteren Fachleuten zusammen: der deutschen Walforscherin Annette Bombosch, dem US-amerikanischen Zooplanktonexperten Joseph Warren von der Stony Brook University, dem japanischen Chemiker Kei Toda mit seinem damaligen Doktoranden Kentaro Saeki von der Universität Kumamoto, die Methoden zur Messung von DMS entwickelt hatten, sowie dem italienischen Ozeanografen Alessandro Bocconcelli, der beim Einsatz leistungsstarker Sender bei Walen Pionierarbeit geleistet hat.

Das Team plante, Buckelwale durch ein eigens hierfür entwickeltes Instrument mit Drucksensoren, Geschwindigkeitsmesser, Magnetkompass und Unterwasserschallempfänger zu versehen und so das Verhalten der Tiere unter Wasser aufzuzeichnen und sie mit einem Funksender zu verfolgen. Den Wissenschaftlern wurde jedoch nur die Markierung von insgesamt fünf Individuen genehmigt, und das musste ihnen binnen fünf Tagen gelingen – die restliche Zeit der zwölftägigen Kreuzfahrt blieb der Überfahrt vorbehalten. Fehler konnten sie sich also kaum erlauben.

Überwältigende Schönheit eines außergewöhnlichen Orts

Wir verließen den Hafen von Ushuaia, der südlichsten Stadt Argentiniens und des amerikanischen Doppelkontinents, am 28. Februar 2020. Die nächsten beiden Tage des Schaltjahrs verbrachten wir damit, die knapp 1000 Kilometer breite und wegen ihrer rauen See berüchtigte Drakestraße zwischen Südamerika und der Antarktis zu durchqueren, ständig begleitet von Albatrossen und Sturmvögeln. Am 1. März passierten wir die als antarktische Konvergenz bekannte Grenzzone zwischen warmen und kalten Gewässern und gelangten in die ruhige See des Südpolarmeers. Zum ersten Mal seit der Einfahrt in die Drakepassage sahen wir an der Steuerbordseite des Schiffs Land: das zu den Südlichen Shetlandinseln gehörende Smith Island.

Filter | Beim Fressen nehmen Bartenwale enorme Mengen Wasser auf, das reich an Beutetieren ist, und filtrieren es anschließend mit ihren Hornplatten im Maul, den Barten. Das Bild zeigt in Nahaufnahme die Barten eines jungen Grauwals.

Nach dem magenstrapazierenden Seegang der Drakestraße und dem Abklingen meiner Schläfrigkeit – eine Nebenwirkung der Medikamente gegen Seekrankheit – konnte ich endlich meine außergewöhnliche Umgebung voll wahrnehmen: Eisberge, Treibeisstücke und Eisbrocken – um nur einige der vielen Erscheinungsformen zu nennen – schimmerten zusammen mit dem Meer und dem Himmel blau in allen Schattierungen. Flaumige Eselspinguinküken jagten ihren erschöpften Eltern hinterher und bettelten um Futter. Platinblonde Robben faulenzten auf Diwanen aus treibendem Eis und wärmten sich in der Sonne. Die unwirkliche Schönheit dieses Orts überwältigte mich.

Am Morgen des 4. März erwache ich bei Tagesanbruch in der Paradise Bay, einem malerischen Hafen der Antarktischen Halbinsel, in dem einst Walfänger ankerten. Von meinem Platz auf dem Ponton eines Zodiacs aus genieße ich, wie die aufgehende Sonne durch eine Wolkenlücke bricht und einen entfernten Gletscher in goldenes Licht taucht.

Wir haben die Welt der Wale erreicht. Hier treffen wir auf Gruppen dieser Säugetiere, die wie Baumstämme an der Wasseroberfläche treiben und riesige Gischtfontänen ausstoßen. Das dazugehörende Zischen überlagert sich mit dem donnernden Krachen kalbender Gletscher und dem Grollen abgehender Eislawinen.

Tags zuvor hatte das Team seinen ersten Buckelwal erfolgreich mit einem Datenlogger ausgestattet. Die Passagiere jubelten, als die Wissenschaftler die Neuigkeit beim Frühstück verkündeten. Leider schlief der Wal während der ganzen Beobachtungszeit. Später am selben Tag bestückten die Forscher ein zweites Individuum, das sich als vorbildlich erwies und mehrere Male bis zu 250 Meter tief tauchte. Wie die Daten des Trackers anzeigten, war der Wal zum Fressen hinabgeschossen. Das war genau das, was die Wissenschaftler sehen wollten.

Diesen Morgen wollen die Forscher versuchen, ein drittes Tier zu tracken – in der Hoffnung, dass es sich wie Nummer zwei verhält. Daniel Zitterbart, ein großer, lebhafter Mann, der mit beeindruckender Geschwindigkeit denken und sprechen kann, ist um 5.30 Uhr aufgestanden und hat sich auf den Weg zur Schiffsbrücke gemacht, um zu erkunden, ob sich irgendein Wal in Schiffsnähe aufhält und wie die Wetterlage aussieht. Der Tag erscheint viel versprechend. Wale wurden in diesem Gebiet tatsächlich gesichtet, und die See ist ruhig – beste Voraussetzungen für die Bergung der Logger, die so programmiert sind, dass sie nur wenige Stunden an einem Tier haften, bevor sie sich lösen und an der Wasseroberfläche treiben.

Bedroht | Der Atlantische Nordkaper (Eubalaena glacialis) war im Nordatlantik ursprünglich weit verbreitet. Die zur Bartenwal-Familie der Glattwale zählende Art wurde jedoch lange bejagt und gilt in ihrem Bestand mittlerweile als stark gefährdet.

Um 6.45 Uhr werden die Forschungsboote zu Wasser gelassen, und die Wissenschaftler bereiten sich auf das Bestücken eines Wals vor. Eine sechs Meter lange Karbonfaserstange ragt zwischen Bug und Heck aus dem Markierungsboot heraus. Damit wollen die Forscher einen Logger, an dessen Unterseite vier Saugnäpfe sitzen, auf den Körper eines ahnungslosen Wals platzieren, sobald sie sich dem Tier bis auf drei Meter genähert haben.

Annette Bombosch und Alessandro Bocconcelli steuern quer über die spiegelglatte Wasserfläche und verlangsamen ihre Fahrt, während sie sich einer Gruppe von Walen nähern. Die Tiere machen jedoch einen eher trägen Eindruck. Um nicht erneut einen Faulpelz zu markieren, entscheiden sich Owen und Bombosch, nach einer aktiveren Gruppe Ausschau zu halten.

Von meinem Beobachtungspunkt auf dem anderen Zodiac aus sind zwei Buckelwale in Sicht. Lediglich ihre kleinen Rückenflossen und der alleroberste Teil ihrer glatten schwarzen Rücken ragen heraus. Die Tiere sehen nicht sonderlich groß aus. Doch wie bei Eisbergen liegt der größte Teil ihrer Körpermasse unter Wasser. Aus der Entfernung lässt sich das Ausmaß der riesigen Buckelwale nur dann erahnen, wenn sie ihre großen Flossen in die Luft strecken, ihre mächtige Fluke vor einem tiefen Tauchgang in die Höhe recken oder ihren ganzen Körper beim Auftauchen in spektakulärer Weise aus dem Wasser schrauben.

Daniel Zitterbart ergreift die unhandliche Stange und steht angespannt mit einem Fuß auf dem Bugkasten, mit dem anderen im Boot. Den Tracker anzuheften, ist eine echte Herausforderung. Um ein starkes Signal von dem Sender zu erhalten, muss Zitterbart das Gerät so weit oben wie möglich auf dem Rücken des Tiers platzieren, aber nicht zu dicht an der empfindlichen Haut um das Blasloch. Als sich das Boot den Walen nähert, hebt Zitterbart die Stange an und stößt genau im richtigen Moment und mit genügend Kraft zu, so dass der Tracker sicher an einem Tier hängen bleibt. Der Wal erschrickt, taucht ab und verschwindet – eine typische Reaktion. Schnell machen sich die Wissenschaftler daran, die Stange wieder zu verstauen, die exakten Positionsdaten festzuhalten und die Beobachtung des Tiers vorzubereiten. Drei Wale sind nun mit Loggern bestückt.

»Ideal wäre es, wenn wir einen aktiven Wal bestückt hätten, der nach Futter sucht«Kylie Owen, Naturhistorisches Reichsmuseum, Stockholm

Sobald der markierte Wal wieder auftaucht, werden die Forscher ihn in den nächsten Stunden sowohl mit den Augen als auch mit Hilfe eines auf die Frequenz des Senders eingestellten UKW-Empfängers verfolgen. Dabei sollen sie einen Abstand von 100 Metern einhalten, um das Tier nicht in seinem normalen Verhalten zu stören. Das Gerät, das die Daten speichert und gut 10 000 US-Dollar pro Stück kostet, müssen die Forscher wieder einsammeln, sobald es sich zur vorprogrammierten Zeit vom Wal löst. Nun gilt es erst einmal zu hoffen, ein kooperatives Individuum ausgewählt zu haben. »Ideal wäre es, wenn wir einen aktiven Wal bestückt hätten, der noch nicht gefressen hat, sondern wegschwimmt und nach Futter sucht«, erklärt Kylie Owen. Dann würden die Forscher Wasserproben sammeln und untersuchen, ob die Konzentrationen an Krill und DMS entlang der Route des Wals zunehmen. Falls sie jedoch ein bereits sattes Tier erwischt hätten, gäbe es keine Spur zu verfolgen.

Seetüchtige Geschöpfe

Wer die Antarktis besucht, trifft auf Kräfte, die seit Urzeiten die Geschicke der Bartenwale geprägt haben. Die von vierbeinigen Landtieren abstammenden Wale durchliefen eine der dramatischsten Transformationen aller Wirbeltiere, als sie das Landleben aufgaben und das Wasser als Lebensraum eroberten. Ihre Anfänge liegen etwa 50 Millionen Jahre zurück, als in der Epoche des Eozäns treibhausähnliche Bedingungen herrschten. Damals zerfiel der südliche Superkontinent Gondwana, und vom heutigen Pazifischen Ozean bis zum Mittelmeer erstreckte sich das Tethysmeer. In dessen warmen, flachen Gewässern fand die erste Phase der Umwandlung der frühen Wale statt: Sie wurden seetüchtig. Die Vorderbeine verwandelten sich in Flossen, die Nase entwickelte sich zum Blasloch, und die Ohren erlaubten ein besseres Hören unter Wasser. Während ihre pelzigen vierbeinigen Vorfahren einige zehn Millionen Jahre zuvor noch entlang der Ufer gewandert waren, hatten sich die Wale dermaßen an das Leben im Wasser angepasst, dass ihnen das Land fortan verschlossen blieb.

Unterwegs im Eis | Mit einem Zodiac-Schlauchboot halten Forscher in der Antarktis Ausschau nach Buckelwalen, um herauszufinden, wie die Meeressäuger Krill aufspüren.

Die zweite Phase der Walevolution vollzog sich, als sich die Erde in eine riesige Kühlkammer verwandelte. Als das Oligozän das Eozän ablöste, ließen tektonische Kräfte Gondwana endgültig in Einzelteile zerfallen, wobei sich Australien, Südamerika und die Antarktis abspalteten. Sobald sich diese Landmassen vollständig abgetrennt hatten, umfloss der antarktische Zirkumpolarstrom den Südkontinent und isolierte ihn von warmen Gewässern. Dadurch gelangten Nährstoffe aus der Tiefe nach oben, von denen sich eine Fülle an Phyto- und Zooplanktonorganismen ernährten. Die neue Strömung war so mächtig, dass sie die ozeanische Zirkulation, die Temperatur sowie die Produktivität auf dem gesamten Globus veränderte. Aus diesem Schmelztiegel tektonischen, klimatischen und ozeanischen Wandels gingen die Ahnen der heutigen Bartenwale hervor. Bereits vor 35 Millionen Jahren schwammen frühe Vertreter jener Abstammungslinie durch die Meere. Im Lauf der Jahrmillionen erwarben ihre Abkömmlinge schließlich die Barten sowie die gigantischen Körperproportionen, die diese Unterordnung der Wale auszeichnen.

Die Wale hatten sich dermaßen an das Leben im Wasser angepasst, dass ihnen das Land fortan verschlossen blieb

Obgleich dramatische Umwälzungen in Umwelt und Ökologie die Bartenwale im Lauf der Evolution geprägt haben, sind ihre heutigen Nachkommen nicht gegen Gefahren durch kurzfristige Veränderungen gefeit. Allein im 20. Jahrhundert schlachteten industrielle Walfänger, bewaffnet mit Harpunenkanonen auf Fabrikschiffen, die den Kadaver unmittelbar an Bord verarbeiteten, mehr als zwei Millionen Bartenwale ab, was viele Populationen an den Rand des Aussterbens brachte und ihre Ökosysteme zerstörte. Davon haben sich einige Arten seit dem Niedergang dieser Industrie zwar wieder erholt – jetzt aber sehen sich die Bartenwale mit neuen existenziellen Bedrohungen konfrontiert: Die Erwärmung der Meere und der kommerzielle Fischfang gefährden die Verfügbarkeit des Zooplanktons, das die Wale als Nahrung brauchen.

Vier Tage nach der Bestückungsaktion begleite ich Joseph Warren, Daniel Zitterbart, Kentaro Saeki sowie den Ozeanografen Julien Bonnel von der Woods Hole Oceanographic Institution auf dem Schlauchboot. Das Kreuzfahrtschiff hat einen Umweg zum King George Island machen müssen, um einen verletzten Passagier über die Flugpiste der chilenischen Frei-Station zum nächstgelegenen Krankenhaus in Chile auszufliegen. Die Forscher beschlossen, diesen unerwarteten Stopp zu nutzen und die Konzentrationen von Krill sowie DMS in einer flachen Bucht auf der Nordseite der Insel zu kartieren.

Industrielle Walfänger schlachteten mehr als zwei Millionen Bartenwale ab

Mit Jacken, Mützen und Handschuhen schützen wir uns gegen die morgendliche Kälte. Nur ein paar Wochen zuvor hat auf der Antarktis eine Rekordtemperatur von plus 18,3 Grad Celsius geherrscht. Die Antarktische Halbinsel gehört zu den Regionen der Erde, die sich am schnellsten erwärmen. Infolgedessen verliert sie große Mengen an Eis, was schlecht für den Krill ist, wie Warren bemerkt. Junger Krill braucht das Meereis des Winters als Unterschlupf und ernährt sich wahrscheinlich von Algen, die auf der Unterseite des Eises wachsen.

Steigende Temperaturen sind nicht der einzige Faktor, der dem Krill zusetzt. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wuchs die Nachfrage nach den kleinen Krebstieren enorm an – hauptsächlich durch die Nahrungsergänzungsmittelindustrie, die Krillöl als reichhaltige Quelle an Omega-3-Fettsäuren für Konsumenten anpreist, sowie durch Aquakulturen, die Krill als Futter für ihre Fischzuchten einsetzen. Inwieweit der Krillfang nachhaltig betrieben wird, bleibt umstritten. Laut einer 2020 veröffentlichten Studie gehen selbst bei den derzeit in den Gewässern rund um die Antarktische Halbinsel geltenden schonenden Fangquoten von weniger als einem Prozent des geschätzten Krillbestands die Populationsgrößen von Pinguinen im südwestlichen Atlantiksektor des Südpolarmeers zurück. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Fangschiffe hauptsächlich in den Gebieten operieren, die auch die Pinguine als Nahrungsgründe bevorzugen. In dem Maß, wie sich die Verteilung und die Biomasse des Krills und anderer Beuteorganismen verändern, müssen sich ihre Fressfeinde – einschließlich der Wale – anpassen.

Während das Zodiac-Boot vom Kreuzfahrtschiff wegtuckert, packen die Wissenschaftler ihre Geräte aus. Mit einem Echolot senden sie Schallwellen ins Wasser, die von Meerestieren reflektiert werden und dabei auf Warrens Laptop ein Bild der in der Wassersäule treibenden Lebewesen erzeugen. Je niedriger die Frequenz des Ping-Signals, umso tiefer kann das Gerät »sehen«. Hochfrequenzsignale erfassen dagegen kleinere Objekte. Das Team setzt zwei Frequenzen ein, eine niedrige sowie eine hohe, um die Schwärme des winzigen Krills ausfindig zu machen, die sich typischerweise in den oberen 200 Metern des Ozeans aufhalten.

Krill aufzuspüren ist zwar nicht ganz so aufregend wie das Verfolgen seiner Fressfeinde, doch die Forschungsmethoden, die wir im Zodiac einsetzen, wurden in den letzten Jahren immer ausgefeilter. Nun fährt das Schlauchboot mit dem Echolot seinen festgelegten Kurs ab, und Kentaro Saeki beugt sich alle zwei Minuten über die Bootsseite und nimmt eine Wasserprobe. Zwei Plastikboxen von der Größe einer Handtasche und eines kleinen Koffers enthalten die Gerätschaften für die DMS-Bestimmung: Ein Blasendüsenrohr treibt Luft in die Wasserprobe, um das DMS in die Gasphase zu überführen; ein Trockner entfernt die Restfeuchtigkeit; ein Ozonator erzeugt aus dem DMS-Gas elementaren Schwefel; und ein Photomultiplier misst das vom Schwefel emittierte Licht – wobei die Lichtintensität proportional zur Menge des vorhandenen DMS ist. Früher konnte man diese Analyse ausschließlich in einem Labor an Land durchführen, doch Woods-Hole-Forschern gelang es, Kei Todas Messapparatur so zu verkleinern, dass sie in ein kleines Boot passt. »Die Tatsache, dass wir den DMS-Schnüffler im Zodiac einsetzen können, ist die große Errungenschaft in dieser Saison«, meint Zitterbart. Dadurch können die Proben direkt vor Ort untersucht werden. »Wir wissen nämlich nicht, wie lange das DMS-Signal aus der Wasserprobe stabil bleibt«, erklärt Zitterbart. »Vorsichtshalber verarbeiten wir deshalb die Proben innerhalb von zwei Minuten.«

Echolotdaten überwachen, Wasser schöpfen, Probe verarbeiten. Und das Ganze immer und immer wieder. Hier gibt es keine Wale, die uns die Monotonie vertreiben, nur den strahlend blauen Himmel, den rauen Wind sowie das Dröhnen des Außenbordmotors. Wir haben schon über die Hälfte der Untersuchungen geschafft, als sich das Echolot endlich regt: Ein kleiner Schwarm Krill schwebt knapp über dem Meeresboden im flachen Wasser der Bucht. Den Mangel an Adrenalin bei unserem Einsatz macht der viel versprechende wissenschaftliche Treffer wieder wett. »Niemand hat diese Buchten im Detail untersucht, daher sind alle Daten, die wir bekommen können, wertvoll«, betont Warren. Mit zwei nachgewiesenen Krillschwärmen und Dutzenden von analysierten Wasserproben kehren wir auf das Kreuzfahrtschiff zurück – alles Daten, die zum Verständnis beitragen werden, wie Krill und DMS im Südlichen Ozean verteilt sind, und die als Referenzwerte für das Messen künftiger Veränderungen dienen können.

Neue Pläne

Mit dem März neigt sich der kurze Sommer auf der südlichen Halbkugel bereits seinem Ende zu. Das Tageslicht weicht der Dunkelheit und das Meereis beginnt sich auszubreiten. Bald werden die Buckelwale nordwärts ziehen, um sich in den warmen Gewässern vor der Westküste Süd- und Mittelamerikas fortzupflanzen. Möglicherweise ist das der Grund, warum die Tiere nicht kooperieren. Obwohl die Forscher entsprechend ihrer Erlaubnis fünf Wale erfolgreich markiert haben, konnten sie nur zwei davon beim Fressen verfolgen. Die anderen drei dösten oder schwammen entspannt in den Buchten umher. Für Daniel Zitterbart bedeutet das mangelhafte Interesse der Wale an Nahrung, dass das Team seine Untersuchungen zu einem anderen Zeitpunkt aufnehmen muss. »Im März sind die Buckelwale offensichtlich schon so fett, dass sie zu träge sind und zu viel schlafen«, erklärt er. »Früher im Sommer ist es besser, weil die Wale dann noch ihre Fettreserven aufbauen und aktiver sind.«

Die Strategie zur Wasserchemieanalyse müsste ebenfalls überdacht werden. Sowohl bei den Wasserproben der Fachleute als auch den zusätzlichen Proben, die von den Kreuzfahrtpassagieren im Rahmen des Laienforschungsprogramms gesammelt wurden, fielen die DMS-Werte geringer aus als erhofft. Vielleicht befand sich tatsächlich nur wenig DMS im Wasser. Joseph Warren zufolge könnte aber auch eine Schicht geschmolzenen Süßwassers auf dem Meerwasser das Signal abgeschwächt haben. »Die Physik des Wassers macht die Sache kompliziert«, sagt er. Um ein klareres Bild von der Chemie zu gewinnen, müssten die Forscher Wasser aus größerer Tiefe entnehmen.

Zukünftig möchte sich Daniel Zitterbart von den Tourplänen der Kreuzfahrtschiffe lösen und sich auf die Erkundung einer einzelnen Bucht konzentrieren, um so ein genaueres Bild von der Lage vor Ort zu gewinnen. Geplant ist, eine Mitfahrgelegenheit zu einer der Forschungsstationen in der Antarktis zu bekommen und dort mit den Zodiacs zu bleiben. Dann könnten die Forscher an derselben Position die Wale, den Krill sowie die Wasserchemie an mehreren Tagen hintereinander erfassen, die Veränderungen beobachten und danach das Schiff auf seiner Rückfahrt abpassen.

Das Problem: Bei der Kreuzfahrtindustrie hat sich ein Auftragsrückstau von zahlenden Kunden gebildet, die in den vergangenen Jahren wegen der Pandemie ihre geplanten Reisen nicht antreten konnten. Die nächsten Touren sind daher völlig ausgebucht. »Wir haben damit gerechnet, dass wir fünf Jahre brauchen, um die erforderlichen Daten zu sammeln – nun sind aber schon drei Jahre vorbei«, klagt Zitterbart. Er ist jedoch zuversichtlich, dass sie bald wieder eine Passage ergattern können. Bis dahin widmet er sich den Walen auf der anderen Seite des Planeten, die ebenfalls schnelle Hilfe brauchen.

Forschungen im Atlantik

Während sie auf die nächste Gelegenheit für eine Antarktisexpedition warten, analysieren Daniel Zitterbart, Kylie Owen und ihre Kollegen die Beziehungen zwischen DMS, Zooplankton und Bartenwalen in den Gewässern vor dem US-Bundesstaat Massachusetts. Weil sie Atlantische Nordkaper nicht direkt markieren dürfen, suchen die Forscher nach Korrelationen zwischen DMS-Hotspots und Walansammlungen in der Cape Cod Bay. Damit wollen sie herausfinden, inwieweit die Substanz als Indikator für das Auftauchen von Walen dienen könnte. Sie beobachten die Nordkaper vom Schiff und vom Flugzeug aus, so dass sie keine Sender an Tiere heften müssen. Das Forschungsprojekt in der Antarktis soll den genauen Mechanismus ergründen, mit dem die Bartenwale ihre Beute aufspüren – ob auf Grund eines DMS-Gradienten oder einer anderen Strategie. Dagegen versucht das Cape-Cod-Projekt lediglich herauszubekommen, ob die Meeressäuger eher dort auftauchen, wo die DMS-Konzentrationen besonders hoch liegen. Falls das zutrifft, könnten die Fachleute anhand der DMS-Werte vorhersagen, wo und wann die Wale erscheinen werden, unabhängig davon, ob die Tiere die Chemikalie wahrnehmen oder einem anderen Signal folgen, das irgendwie mit DMS gekoppelt ist.

Gegenwärtig soll der Atlantische Nordkaper durch saisonale Geschwindigkeitsbeschränkungen sowie durch visuelle oder akustische Überwachungssysteme geschützt werden. So gilt in der Cape Cod Bay, einem wichtigen Nahrungsgrund für Nordkaper, vom 1. Januar bis zum 15. Mai für alle über 20 Meter langen Schiffe ein Tempolimit von zehn Knoten. Das soll das Verletzungsrisiko durch Kollisionen für die Tiere reduzieren. Unabhängig von der Jahreszeit fordert man alle Wasserfahrzeuge jedweder Größe auf, vorsichtiger und langsamer zu fahren, sobald Wale gesichtet oder gehört werden. Eine kostenlose App namens Whale Alert zeigt auf einer Karte in nahezu Echtzeit die in den entsprechenden Gebieten entdeckten Wale an.

Dieser Art von Management fehle jedoch die Vorhersagekraft, betont der Ökologe David Wiley von der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), der gemeinsam mit Zitterbart die Rolle von DMS ergründet. Hinzu komme, dass große Schiffe auf verkehrsreichen Schifffahrtsstraßen ihren Kurs oftmals nicht schnell genug ändern könnten, um eine Kollision mit den langsam dahingleitenden Walen zu vermeiden. »Mit einem Indikator wie DMS könnten wir planen, anstatt bloß zu reagieren.«

2021 wurden die Ergebnisse von der Cape Cod Bay veröffentlicht, wonach höhere DMS-Werte einer gesteigerten Konzentration an Zooplankton entsprechen. Falls also Bartenwale dem Konzentrationsgradienten folgten, würden sie tatsächlich zu ihrer Futterquelle geleitet. Nun möchten die Fachleute untersuchen, ob sich die Bartenwale wirklich an diesen DMS-Hotspots versammeln. Vorläufige Resultate lassen darauf schließen, dass der Atlantische Nordkaper sowie der ebenfalls Copepoda fressende Seiwal das tatsächlich tun.

»Wenn sich die Dinge nicht ändern, werden die Nordkaper noch zu unseren Lebzeiten aussterben«David Wiley, NOAA

Um ihre These zu untermauern, wollen die Wissenschaftler die DMS-Konzentrationen in der Cape Cod Bay sowie der Massachusetts Bay alle zwei Wochen entlang festgelegter Routen messen, und zwar sowohl bevor die Wale ankommen als auch während sie dort verweilen und nachdem sie die Region wieder verlassen haben. Die Forscher möchten wissen, wie viel DMS das Wasser enthalten muss, damit sich die Meeressäuger blicken lassen. »Wir müssen die Schwellenwerte herausfinden, die für die Wale biologisch relevant sind«, umschreibt Wiley das Ziel der Studie, die seiner Einschätzung nach etwa zwei Jahre in Anspruch nehmen dürfte.

Faszinierend wäre es, Orte mit steigenden DMS-Werten und damit potenziell hoher Attraktivität für den Atlantischen Nordkaper mit Hilfe von Satellitenbildern aus dem Weltall zu überwachen. Dann könnten Naturschutzbehörden Schiffe um solche Gebiete herumleiten oder den Fischfang beziehungsweise die Nutzung von Windrädern zeitlich begrenzt aussetzen, so dass die Wale nicht gestört werden, bis die DMS-Gehalte wieder sinken und die Meeressäuger von dannen ziehen. Klimaforscher interessieren sich schon seit Langem für DMS, weil es die Wolkenbildung fördert. Wie sie bereits festgestellt haben, lässt sich die chemische Verbindung aus dem Weltall aufspüren. Aber es bedarf Satellitendaten mit höherer Auflösung, als sie heute verfügbar sind, um die Wanderrouten der Wale vorherzusagen.

Für den Atlantischen Nordkaper und all die Lebewesen, deren Schicksal mit dem der Wale verwoben ist, können neue Erkenntnisse nicht schnell genug kommen. »Wenn sich die Dinge nicht ändern, werden die Nordkaper noch zu unseren Lebzeiten aussterben«, prophezeit Wiley. Folglich sollte seiner Ansicht nach diese Schlüsselart im Zentrum des heutigen Naturschutzes stehen. Dann könnten vielleicht eines Tages der Atlantische Nordkaper und andere bedrohte Bartenwale ihren Platz als Herrscher im Reich der Weltmeere zurückerobern.

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