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Eulbergs tönende Tierwelt: Kluger Wächter des Waldes

Er ist mit seinen beeindruckenden kognitiven Fähigkeiten in mancher Hinsicht mit Primaten vergleichbar: der Eichelhäher, einer der intelligentesten Vögel Europas. Von vorausschauender Vorratshaltung, ausgeprägter Selbstkontrolle und der Koevolution der Eichel erzählt unser Kolumnist.
Eine detaillierte Zeichnung eines Eichelhähers, der eine grüne Eichel im Schnabel hält. Der Vogel sitzt auf einem Ast mit einem grünen Blatt. Der Hintergrund ist dunkelgrau, was den Vogel hervorhebt. Der Eichelhäher hat ein auffälliges Gefieder mit blauen und schwarzen Streifen auf den Flügeln.
Die längliche Eichel passt perfekt in den Schnabel des Eichelhähers: ein Beispiel für Koevolution.
Wissen Sie, wie ein Siebenschläfer klingt? Warum der Pirol auch Regenkatze genannt wird? Vermutlich nicht – obwohl diese Lebewesen Teil unserer heimischen Fauna sind. In der Kolumne »Eulbergs tönende Tierwelt« stellt der Techno-Künstler, Ökologe und Naturschützer Dominik Eulberg faszinierende Exemplare aus der Tierwelt vor unserer Haustür vor. Podcast-Tipp: In WUNDERKAMMER feiert er mit dem »Zeit«-Reporter Fritz Habekuß die Schönheit der Natur.

Er ist neben der Elster der farbenprächtigste Vertreter der Familie der Rabenvögel (Corvidae): der Eichelhäher (Garrulus glandarius). Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als Kind durch die tiefen Rotbuchenwälder des Westerwaldes streifte. Was war es jedes Mal für ein großes Glück und eine Freude, wenn ich eine seiner auffälligen blau-schwarz gebänderten Handdeckenfedern fand! Wie einen kostbaren Schatz transportierte ich sie nach Hause, um sie stolz meiner Familie zu präsentieren. In den strukturreichen Laubwäldern konnte ich außerdem sehr häufig seinen auffallend lauten Warnruf hören, dessen Schall weit durch den Wald getragen wird. Sogar viele andere Arten interpretieren den rätschenden Alarmruf des wachsamen Eichelhähers als solchen und horchen auf. Deshalb nennt man den Eichelhäher auch den »Wächter des Waldes«.

Ab und an stößt er sogar einen miauenden Ruf aus, der in verblüffender Weise an den eines Mäusebussards erinnert.

Die genauen Gründe für dieses Verhalten sind wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt. Es ist nur bekannt, dass sie nicht der innerartlichen Kommunikation dienen. Die Laute anderer Greifvögel und Spechte finden sich ebenfalls im Repertoire eines Eichelhähers. Womöglich schreckt er Fressfeinde ab, indem er größere Greifvögel imitiert – oder aber er irritiert dadurch andere Tierarten, etwa Nahrungskonkurrenten, und gelangt somit leichter an Futter.

Der Ursprung des Wortes »Häher« ist lautmalerisch und ahmt den rauen Ruf des Vogels nach. Den Rest seines Namens verdankt der Eichelhäher seiner präferierten Nahrung: Bis zu zehn Eicheln kann er gleichzeitig in seinem Kehlsack transportieren. Er sammelt aber auch Bucheckern und Haselnüsse, die er vor allem ab Herbst sorgfältig als Wintervorrat im Boden vergräbt. Auf dem Höhepunkt seiner Futtersuche im Oktober verbringt er oft zehn bis elf Stunden täglich damit, Nahrung zu sammeln. So versteckt er bis zu 5000 Baumfrüchte pro Jahr und findet sie selbst unter einer hohen Schneedecke wieder. Denn neben einem erstaunlichen Orientierungssinn verfügt der intelligente Rabenvogel über ein unglaubliches Gedächtnis mit der Fähigkeit zur Objektpermanenz: Er weiß also selbst dann, dass etwas weiterhin existiert, wenn es sich außerhalb des Wahrnehmungsbereichs befindet. Sogar das grobe »Haltbarkeitsdatum« der Leckereien in seinen Verstecken kann er sich merken.

  • Der Eichelhäher

    Hier finden Sie alles Wissenswerte sowie Beobachtungstipps rund um den Wächter des Waldes.

  • Steckbrief

    Klasse: Vögel

    Ordnung: Sperlingsvögel (Passeriformes)

    Familie: Rabenvögel (Corvidae)

    Größe: 32 bis 35 Zentimeter

    Gewicht: 140 bis 190 Gramm

    Fortpflanzungsperioden pro Jahr: eine

    Nachkommen pro Periode: 4 bis 7

    Höchstalter: 17 Jahre

    Bundesweiter Gefährungsgrad (Rote Liste): nicht gefährdet

    Volkstümlicher Name: Wächter des Waldes

  • Beobachtungstipps

    Der Eichelhäher lebt ganzjährig in Laub-, Misch- und Nadelwäldern, vor allem in solchen mit abwechslungsreicher Struktur und Unterwuchs. Außerdem kann man ihn in Parks, großen Gärten, Alleen oder Friedhöfen beobachten.

    Fütterung | Männliche Eichelhäher beobachten die Fressvorlieben des Weibchens und versorgen es dann vorzugsweise mit solcher Nahrung, derer es noch nicht überdrüssig ist.

Allerdings übertreibt er es meist etwas mit der Vorratshaltung: Man nimmt an, dass ein Eichelhäher weniger als ein Fünftel seiner Verstecke in Anspruch nimmt. Da Eicheln kaum oberirdisch keimen können, leisten diese in den Boden eingearbeiteten »Hähersaaten« einen extrem wichtigen Beitrag zur Verbreitung widerstandsfähiger Waldbäume. Man nennt den Eichelhäher deshalb auch den »Gärtner des Waldes«. Einige pfiffige Menschen in der Forstwirtschaft machen sich diese Eigenart des Vogels zu Nutze, etwa um Kahlflächen mit Buchen und Eichen aufzuforsten. Dazu legen sie einfach große Mengen von Eicheln und Bucheckern auf so genannte Hähertische: etwa 40 mal 40 Zentimeter große Tableaus auf einem Holzpfahl, damit sich keine anderen Tiere, wie etwa Wildschweine, über die Baumfrüchte hermachen. Den Rest erledigt der Eichelhäher kostenlos.

Der Eichelhäher | An seinen auffälligen blau-schwarz gebänderten Flügelfedern ist der Eichelhäher gut zu erkennen.

Selbst die längliche Form der Eichel hat sich erst durch eine viele tausend Jahre andauernde Koevolution mit dem gefiederten Förster entwickelt: Es setzte sich diejenige Baumfrucht-Form durch, die optimal in den Schnabel und Schlund eines Eichelhähers passt.

Der Eichelhäher zählt zu den intelligentesten Vögeln Europas und besitzt eine erstaunliche Bandbreite an kognitiven Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die ihn in vielen Aspekten mit Primaten vergleichbar macht. So zeigt er mitunter eine ausgeprägte Selbstkontrolle. In Experimenten konnten Eichelhäher auf eine unmittelbare Belohnung verzichten, wenn sie wussten, dass später eine noch üppigere Belohnung wartet – ein Zeichen für vorausschauendes Planen. Eichelhäher sind außerdem fähig, Artgenossen gezielt auszutricksen, etwa indem sie Futterverstecke nur zum Schein anlegen, wenn sie sich beobachtet fühlen. Andererseits verfügen sie über ein bemerkenswertes Einfühlungsvermögen: Männliche Eichelhäher können die Vorlieben ihrer Partnerinnen erahnen, wenn sie diese beim Fressen beobachten. Sie passen daraufhin an, welches Futter sie ihr anbieten, und reichen ihr die Nahrung, derer sie noch nicht überdrüssig zu sein scheint. Solch ein Verhalten wird als Vorstufe von Empathie interpretiert.

Hin und wieder kann man die cleveren Eichelhäher auch dabei beobachten, wie sie mit gesträubtem Gefieder auf Waldameisenhügeln hocken und sich in der Ameisensäure der alarmierten Bewohnerinnen »duschen«. Durch dieses »Einemsen« vertreiben sie Bakterien, Pilze und Parasiten aus dem Gefieder.

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